Der Essay „Haltung“ ist Mely Kiyaks Antwort auf das „Haltung zeigen!“, das man sich auf Preisverleihungen der Medienbranche gegenseitig zuruft. Ihre Antwort ist: Haltung zu zeigen wäre vor Jahren schon nötig gewesen und genügt nicht mehr, denn die Rechtsradikalen sitzen jetzt in den Parlamenten und verändern das Land bereits. Statt der bloßen Zurschaustellung einer Haltung fordert Kiyak ein Handeln mit Konsequenzen. Es ist ein Appell, den sie hier besonders an ihre Kollegen in den Redaktionen richtet. Der lautstarken Selbstbestätigung und gegenseitigen, öffentlichen Bestärkung Medienschaffender stellt sie Handlungsweisen entgegen, die nicht nur Zeichen setzen, sondern die Situation verändern, auch wenn es nur im Stillen geschieht: das Verlassen einer Veranstaltung, das Nicht-Einladen von rechten Populisten in Talkshows, der Entzug medialer Aufmerksamkeit.
Aus ihrer eigenen Erfahrung als Kolumnistin beschreibt Kiyak den Versuch, das Schema aus rechter Provokation, medialer Empörung und rechter Gegen-Empörung zu durchbrechen. Nachdem sie lange kritisch über das rechte Parteienspektrum geschrieben hat, meidet sie das Thema inzwischen bewusst.
„Ich änderte also mein Verhalten, nicht aber meine Haltung. Ich fand das Gesprochene im öffentlichen Raum immer noch unmöglich, aber meine bisherige Handlungsweise inadäquat.“
Schweigen im richtigen Moment, das Nicht-Reagieren und wohl dosierte Leisesein sind Kiyaks neue Techniken und sie regt dazu an, diese in das persönliche Arsenal im Umgang mit dem Rechtsextremismus aufzunehmen. Sich solcher Maneuver zu bedienen ohne sich dabei aber einfach nur zurückzuziehen ist hierbei die Kunst. Wie schwer es ist, den richtigen Weg zwischen laut und leise zu finden, zeigt der Text nicht zuletzt indirekt durch sein eigenes Beispiel, denn strenggenommen widerspricht er sich zwangsläufig selbst: „gegen das Lautsein“ gerichtet nennt er selbst die durch den Aufstieg der Rechtsextremen und die halbherzige Haltung der Medienbranche verschuldeten Mißstände sehr deutlich beim Namen – man könnte sagen: laut und deutlich. Kiyaks Buch ist ein kurzer und doch tiefer Einblick in den Balance-Akt und die Ratlosigkeit der etablierten Medien im Umgang mit dem Rechtspopulismus.
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