Männer und sonstige Übel | „Sexuelle Revolution“ von Laurie Penny

Die englische Journalistin Laurie Penny ist eine der bekanntesten Feministinnen der Gegenwart. Von der taz wurde sie als „Ikone des jungen Feminismus“ bezeichnet. In ihrem im Jahr 2022 erschienenen Buch „Sexuelle Revolution“ geht es um die frauenverachtende Vergewaltigungskultur oder „Rape Culture“, in der wir ihrer Ansicht nach in den westlichen Industrienationen leben. In dieser Kultur werden Frauen laut Penny systematisch erniedrigt, unterdrückt und ausgebeutet, vor allem durch physische und sexuelle Gewalt.

Dieser Theorie zufolge ist die Vergewaltigung von Frauen durch Männer in der westlichen Welt nicht etwa nur eine unerwünschte Randerscheinung, ein Verbrechen, das von einer Minderheit begangen wird, sondern sie steht im Zentrum dieser Kultur. Penny spricht wörtlich von „institutionell verankerter Vergewaltigung“. Ihrer Ansicht nach gehen männliche Vergewaltiger mit ihrer Tat nur ein geringes Risiko ein, da die wenigsten Vergewaltigungen angezeigt und die Täter fast nie verurteilt werden. Gesellschaftliche Ächtung müssen sie laut Pennys Darstellung nicht befürchten und von der Justiz sei sowieso keine Gerechtigkeit zu erwarten. Penny schreibt: „Herkömmliche Rechtssysteme haben sich als völlig ungeeignet erwiesen, um gegen sexuelle Gewalt, Sexismus und institutionellen Rassismus vorzugehen.“ Ein besonderes Problem sieht Penny hier in der Unschuldsvermutung, denn dadurch, dass Vergewaltiger so lange als unschuldig gelten, bis ihre Schuld bewiesen ist, werden ihre Anklägerinnen ja implizit verdächtigt, die Unwahrheit zu sagen, was aus Pennys Sicht die Opfer nur weiter drangsaliert.

Gewalt und Ökonomie

Ausgehend vom Phänomen der Vergewaltigung, das in diesem Buch die zentrale Rolle spielt, schreibt Penny auch über andere Formen sexueller Gewalt und Belästigung, die ihrer Ansicht nach von unserer Gesellschaft nicht nur toleriert, sondern bewusst eingesetzt werden, um Frauen zu unterdrücken. Diese Unterdrückung habe einen konkreten ökonomischen Zweck. Frauen müssten in ständiger Angst vor Männern leben und auf ihre Güte angewiesen sein, damit sie in der heterosexuellen Ehe und im kapitalistischen Arbeitsleben wie gewünscht funktionieren. Auf diese Weise trägt die Rape Culture, wie Penny wörtlich schreibt, „entscheidend zum Funktionieren von Volkswirtschaften bei, die sich auf die Ausbeutung von Frauenkörpern stützen.“ Im Berufsleben arbeiten Frauen sich für wenig Geld kaputt und auch die Erziehung von Kindern, die Pflege von Alten und die Hausarbeit werden ihnen laut Penny durch die gewaltsame Unterdrückung aufgezwungen. Mehrfach betont sie, dass die westlichen Wirtschaftssysteme ohne diese Arbeit, die ihrer Ansicht nach ganz auf dem Rücken der Frauen lastet, zusammenbrechen würden, und die Vergewaltigungskultur daher eine ökonomische Strategie ist.

Auch die Abtreibungsgesetze haben laut Penny nicht etwa den Schutz ungeborenen Lebens im Sinn, sondern sie sind als Stützen dieser Unterdrückung gedacht. Penny schreibt hierzu:

Die Gesetze sollen kein „Recht auf Leben“ etablieren. Sie sollen die Maximalkontrolle über Frauen als Kernprinzip konservativer Herrschaft verankern. Sie sollen Frauen als Besitz markieren. Sie sollen Frauen als Sachen definieren.

An einer anderen Stelle schreibt Penny:

Weiße Rassist*innen sind seit jeher bestrebt, die menschliche Spezies gewaltsam umzuformen, indem sie Abtreibung und Empfängnisverhütung kontrollieren und entscheiden, welcher Körper schützenswert ist und welcher sterben darf.

Zu ihrer eigenen Haltung zum Thema Abtreibung schreibt sie übrigens auch:

Meiner Ansicht nach dürfte es für Abtreibungen keinerlei gesetzliche Einschränkungen geben. Null. Der Schwangerschaftsabbruch sollte allen, die es wünschen, leicht und frei zugänglich sein. Niemand sollte einen guten Grund – oder überhaupt einen Grund – für einen Schwangerschaftsabbruch angeben müssen.

Es ist nicht ganz einfach, den Inhalt dieses Buches systematisch zusammenzufassen. Eigentlich wird in der Einleitung schon alles gesagt. Auf den übrigen dreihundert Seiten improvisiert Penny dann sich selbst ständig wiederholend über ihren schon erwähnten Kernthesen zu Gewalt und Ökonomie. Das Buch klappert hierbei alle gängigen Schauplätze der Geschlechterdebatte ab, inklusive Schönheitszwang, Essstörungen, Prostitution, Pornographie, Dating, und bemüht sich jeweils um den radikalsten denkbaren Standpunkt.

Scheinbare Soziologie

Das Buch hat zwei Eigenschaften, die mich besonders stören. Zum einen gibt es sich durch ausgiebigen Gebrauch von Fachbegriffen den Anschein, eine Art soziologische Theorie zu präsentieren. Ab und zu wird auch jemand zitiert oder auf eine Studie verwiesen. Aber Pennys Beschreibung unserer Gesellschaft als ein System, das Frauen mit voller Absicht und mit Hilfe ihrer wichtigsten Institutionen systematisch ausbeutet, beruht weitgehend nur auf Behauptungen, die durch nichts belegt werden. Manches davon ließe sich vielleicht mit Daten untermauern, aber weil Penny einfach darauf verzichtet und stellenweise so gewagte Äußerungen macht, dass es sich nur um Übertreibungen handeln kann, wirkt in der Konsequenz das gesamte Gesellschaftsbild des Buches fragwürdig. Von der Sorgfalt und der Vorsicht, mit der Soziologen ihre Theorien erarbeiten, ist hier nichts zu spüren. Der kämpferische Ton ist offensichtlich wichtiger, als eine anhand von Fakten erarbeitete Nähe zur Realität.

Diese Grundhaltung des Buches ist deshalb besonders störend, weil es natürlich um sehr reale und ernste Probleme geht. Millionen Frauen sind schließlich von Vergewaltigung, sexueller Belästigung am Arbeitsplatz und Gewalt in der Ehe betroffen und auch in vielen anderen, ganz alltäglichen Formen belasten Sexismus, Rassismus und andere Formen von Ungerechtigkeit unsere Gesellschaft. Diese Probleme zum Zweck der eigenen Profilierung mit einer oberflächlichen Polemik abzuhandeln, geht ganz direkt auf Kosten der Glaubwürdigkeit der anderen, die sich ernsthaft mit diesen Themen befassen. Laurie Pennys schrilles Buch ist ein gefundenes Fressen für alle, die den Feminismus sowieso schon immer für überdrehten Quatsch gehalten haben.

Die recycelte Revolution

Der andere störende Punkt ist, dass es sich, selbst wenn alles solide recherchiert wäre und selbst wenn man Pennys Sichtweise in allen Punkten teilen wollte, auch um ein theorieschwaches Buch handelt, aus dem man über Feminismus nichts lernen kann, was sowieso schon alle wissen. Die Theorien der Intersektionalität und der Consent Culture werden zwar ständig heraufbeschworen, bleiben aber diffuse Schlagworte, ähnlich wie auch der immer wieder erwähnte Kryptofaschismus oder der Spätkapitalismus. Wer wissen will, was hinter diesen Begriffen steckt, muss das anderswo nachlesen. Das Wenige, was in diesem Buch tatsächlich gesagt wird, ist alles andere als neu oder originell. Sämtliche Thesen habe ich schon vor Jahren auf einschlägigen feministischen Twitter-Accounts gelesen als die Plattform noch so hieß. Als eine Einführung in feministische Lektüre ist das Buch also ebenso ungeeignet, wie als aktuelle Streitschrift für bereits eingeweihte feministische Revolutionäre. Penny beendet jedes einzelne Kapitel des Buches zwar mit ein paar blumigen Sätzen über die Sexuelle Revolution, die nun endlich im Gange sei, um Patriarchat und Rape Culture zu beenden, aber welche Form von Gesellschaft diese Revolution anstrebt und wie sie ihre Ziele konkret erreichen will, erfahren wir nicht. Penny wirkt weitgehend nicht wie eine Akteurin sondern eher wie eine passive Beobachterin dieser sogenannten Revolution. Die Me-Too-Bewegung etwa kommentiert sie, aber darüber, was die nächsten Schritte und Ziele der Bewegung wären, hat sie nichts zu sagen.

Diese inhaltliche Lücke macht umso deutlicher, dass es dem Buch um etwas ganz anderes geht, nämlich um die Konstruktion eines greifbaren Feindbildes und darin ist dieses Buch tatsächlich sehr konkret. Nicht die allzu abstrakte „Gesellschaft“ oder das sogenannte „System“ werden als die Wurzel allen Übels ausgemacht, sondern die Männer, und zwar die weißen Männer, wie Penny immer wieder in Kursivschrift hervorhebt. Bereits in der Einleitung heißt es, für das „Überleben unserer Spezies“ gebe es „nichts Bedrohlicheres […] als das Entitlement weißer Männer“. Weiße Männer setzen ihren Willen rücksichtslos mit Gewalt durch. Ihre Sexualität ist „raubtierhaft“, wie es an einer Stelle heißt. Sie sind rassistisch, sexistisch und faul. Sie genießen auf dem Rücken ihrer Opfer ein derart priviligiertes Leben, dass jede selbstbewusste Frau, die daran zu rütteln versucht, sie sofort zur Weißglut treibt. Die Gesellschaft ist darauf ausgerichtet, sie in ihrem Machterhalt zu bestärken.

Es ist Laurie Penny wichtig, dass wir vom problematischen männlichen Geschlecht beim Lesen ein physisch abstoßendes Bild vor Augen haben. Immer wieder ist von den verschwitzten Händen die Rede, mit denen sich die weißen Männer krampfhaft an ihrer ergaunerten Macht festkrallen und als Paradebeispiele der Spezies Mann werden immer wieder Donald Trump, Boris Johnson, Harvey Weinstein und ähnlich unansehnliche Exemplare herbeizitiert. Um den Ekel weiter zu steigern, befasst das Buch sich außerdem lange und ausführlich mit den rechtsradikalen Demonstranten von Charlottsville und mit aus Incel-Communities hervorgegangenen Amokläufern. Wer wollte da noch bezweifeln, dass Männer das allerletzte sind? An manchen Stellen des Buches klingt zaghaft durch, dass der Feminismus dieses Feindbild eigentlich nicht braucht, weil die Probleme, um die es im Kern geht, als gemeinsame Probleme der Geschlechter aufgefasst werden könnten, die gemeinsam zu lösen wären. Da es hier aber grundsätzlich nicht um Lösungen geht, greift das Buch diesen Ansatz nicht weiter auf, sondern kritisiert stattdessen einen zu laschen Mainstream-Feminismus, der mit den Männern gemeinsame Sache machen will.

Zorn der Gerechten

Es gibt noch einen letzten Punkt, der vielleicht interessant ist, nicht an diesem Buch selbst sondern eher an seiner Gattung. Laurie Penny und ihre Nachahmer haben in in den letzten Jahren auffallend viele Bücher geschrieben, die sich ganz offen dazu bekennen, aus einer Wut heraus entstanden zu sein und das erklärte Ziel zu haben, die Leser mit dieser Wut anzustecken. Man könnte auch vom Aufhetzen der Leser sprechen, aber dieses belastete Wort wird üblicherweise vermieden. Stattdessen ist immer wieder von der Wut die Rede. Ganz im Gegensatz zum Hass wird die Wut als etwas positives gesehen. Ich glaube darin liegt in den letzten Jahren in der gesellschaftspolitischen Sachbuch-Sparte etwas neues. Einem wütenden Autor empfiehlt niemand mehr, sich erst einmal zu beruhigen, und dann erst loszuschreiben, sondern ganz im Gegenteil. Der Zorn muss frisch auflodernd konserviert werden, selbst wenn er am Ende nur noch eine Performance ist, wie man es bei Laurie Penny unterstellen muss. Es ist immerhin ihr achtes Buch. Wie viele Bücher lang kann man wirklich wütend sein?

Viel mehr gibt es über Laurie Pennys Buch nicht zu sagen. Es war ein Fehler, es zu lesen und wahrscheinlich ist es ein noch größerer, es hier zu besprechen. Weder an Anfeindungen aus der feministischen noch an Applaus aus der antifeministischen Ecke bin ich besonders interessiert. Auch wenn ich mich nicht als Feminist sehe, hätte ich gerne etwas zu diesem Thema dazugelernt und sehr gerne ein interessantes feministisches Buch positiv besprochen. Mit „Sexuelle Revolution“ ist das nicht möglich. Es ist die reine Zeitverschwendung.

Zur Verteidigung der Männer ist auch längst alles gesagt. „Männer sind auch Menschen“ heißt es bei Herbert Grönemeyer. Außerdem heißt es dort: „müssen durch jede Wand, müssen immer weiter.“ Also, schnell weiter zum nächsten Buch.


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