Der Materialismus hat sich durchgesetzt. Von den größten kosmischen Phänomenen bis hin zu den Elementarteilchen erklären uns Naturwissenschaften die ganze Welt und auch wenn es an manchen Stellen noch Rätsel gibt, scheint es nur eine Frage der Zeit und der Forschungsgelder zu sein, bis auch diese beantwortet sind. So sehen es heute wahrscheinlich die meisten Menschen, die sich nicht als Alternative auf ein religiöses Weltbild berufen wollen. Es gibt allerdings eine Gruppe von Philosophen, die in diesem Siegeszug ein letztes Gallisches Dorf auszumachen glauben, das noch Widerstand leistet, eine letzte Ecke, in die der Materialismus noch nicht vorgedrungen ist und vielleicht auch niemals vordringen kann. Bei dieser Ecke der Welt handelt es sich ausgerechnet um uns selbst, genauer gesagt um unser Bewusstsein.
Mit Bewusstsein ist hier die Tatsache gemeint, dass wir eine eigene Perspektive besitzen. Auch ein Computer kann Teile der Welt wahrnehmen und auch eine künstliche Intelligenz kann „Ich“ sagen, aber wir haben das Gefühl, dass es etwas anderes bedeutet, wenn wir es sagen, weil wir tatsächlich eine eigene Sicht auf die Welt haben. In wie fern das Bewusstsein in diesem Sinne ein Problem für das materialistische Weltbild darstellt, hat der Philosoph Thomas Nagel im Jahr 1974 in seinem berühmten Aufsatz „Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?“ erklärt. Weil ich ihn so interessant finde, habe ich diesen Aufsatz hier schon mehrmals erwähnt. Die Fledermaus nimmt ihre Umgebung bekanntlich mit ganz anderen Organen wahr, als wir. Anstelle von Licht empfängt sie das Echo von Ultraschall-Signalen, die sie selbst ausgesandt hat, um zu erfahren, wo sich um sie herum Hindernisse befinden. Wenn wir versuchen, uns in die Fledermaus hinein zu versetzen und uns vorzustellen, wie es ist, die Welt aus der Sicht einer Fledermaus zu betrachten, sind wir ratlos. Wir können uns nicht vorstellen, wie im Kopf der Fledermaus ein aus diesen Echo-Signalen zusammengesetztes Bild von ihrer Umgebung aussieht, falls man überhaupt von Bild und aussehen sprechen kann.
Das allein ist noch nicht der Punkt. Es gibt vieles, was wir nicht wissen oder uns nicht vorstellen können und die Perspektive der Fledermaus gehört eben zu diesen Dingen. Das Interessante ist aber, dass es in diesem Fall für uns keinen Weg zu geben scheint, diese Wissenslücke zu schließen. Wir wissen bereits einiges über die Wahrnehmungsorgane und das Gehirn der Fledermaus und wir können diese Organe noch genauer erforschen. Aber selbst wenn wir alle neuronalen Prozesse im Gehirn der Fledermaus einmal genau nachvollziehen können, wird uns das, wie Thomas Nagel glaubt, keinen Aufschluss darüber geben, wie es ist, die Welt aus der Perspektive der Fledermaus wahrzunehmen. Damit liegt diese Frage, wie es ist, eine Fledermaus zu sein, offenbar außerhalb dessen, was wir mit Hilfe der Naturwissenschaften herausfinden können, und damit auch erst einmal außerhalb unseres materialistischen Weltbildes.
Der letzte Schritt in dieser Argumentation besteht dann darin, dass es sich bei der Fledermaus nicht um kuriosen einen Einzelfall sondern nur um das offensichtlichste Beispiel handelt. Auch die Frage, wie es genau ist, die Welt aus meiner Perspektive wahrzunehmen, wie es ist, Anton Weyrother zu sein, werden Sie wahrscheinlich auch durch eine noch so gewitzte Untersuchung meines Gehirns nicht herausfinden. Wir haben nicht die Möglichkeit wie der Protagonist des Films „Being John Malkovich“, uns einfach in das Stockwerk sieben-einhalb eines Bürogebäudes in Manhattan zu begeben und von dort aus die Welt aus der Perspektive von John Malkovich zu sehen. Wir können es nicht einmal kommunizieren, wie es genau ist, ich zu sein. Ich kann Ihnen beim besten Willen nicht sagen, wie es für mich ist, die Farbe blau zu sehen, um das Lieblingsbeispiel der Philosophen aufzugreifen. Wir werden nicht herausfinden, ob die Farbe blau für Sie und für mich gleich aussieht. Solche Farberlebnisse und andere Eindrücke, die wir nicht mit einander vergleichen können und die auf einer grundlegenden Ebene unsere eigene Sicht auf die Welt auszuzeichnen scheinen, werden von diesen Philosophen auch als Qualia bezeichnet.
Was nur wir selbst wissen können
Man kann diese Denweise also in etwa so zusammenfassen: Der Teil meines Bewusstseins, der davon handelt, wie es ist, ich zu sein, ist nur für mich selbst aus der Erste-Person-Perspektive unmittelbar erkennbar, aber für niemanden sonst. Ich kann dieses Wie weder kommunizieren, noch kann es jemand von außen studieren. Auf diese Weise entzieht sich also, wie Nagel und andere glauben, das menschliche Bewusstsein der Dritte-Person-Perspektive und damit dem Zugang durch die Naturwissenschaften, die sich aus Prinzip nicht auf die Erste-Person-Perspektive verlassen können. Was aus diesem vermeintlichen weissen Fleck auf der naturwissenschaftlichen Weltkarte zu folgern ist, bleibt zunächst offen. Handelt es sich nur um ein Problem unserer naturwissenschaftlichen Methode, oder liegt das Bewusstsein tatsächlich außerhalb des materialistischen Weltbilds? Müssen wir vielleicht, wie manche Philosophen spekulieren, den Materialismus ergänzen, und schon den Elementarteilchen eine zusätzliche Eigenschaft zusprechen, die auf höherer Ebene Bewusstsein ermöglicht?
Der im April 2024 verstorbene amerikanische Philosoph Daniel Dennett war der vielleicht schärfste Kritiker dieser Denkrichtung, in der dem Bewusstsein ein solcher Sonderstatus zugesprochen wird. „Süße Träume“, seine im englischen Original bereits im Jahr 2005 erschienene Kampfansage an diese Denkweise, wurde von Suhrpamp auch auf Deutsch herausgebracht. Dennett stimmt zunächst einmal zu, dass die besagte Ich-Perspektive nicht nur einHirngespinst ist. Er bestreitet nicht, dass es irgendwie ist, eine Fledermaus oder John Malkovich zu sein und dass es für Sie und für mich irgendwie ist, die Farbe Blau zu sehen, und dass eine umfassende Theorie des Bewusstseins das alles beschreiben und erklären sollte. Dennett bestreitet in diesem Buch aber sehr entschieden, dass es mit dem Bewusstsein irgend etwas mysteriöses und immaterielles auf sich haben sollt. Das Gehirn ist für Dennett nur eine Denkmaschine und das Bewusstsein ist einfach nur eine ihrer Funktionen, die man eben doch naturwissenschaftlich untersuchen kann und irgendwann vielleicht auf einem ausreichend komplexen Computer reproduzieren wird.
Die wissenschaftliche Methode, mit der Dennett es für möglich hält, das Bewusstsein irgendwann restlos zu erklären, wird in den Neurowissenschaften bereits angewandt und von Dennett als Heterophänomenologie bezeichnet. Im Wesentlichen konfrontieren Forscher in dieser Methode eine Reihe von Versuchspersonen gezielt mit bestimmten Eindrücken, zum Beispiel werden ihnen Bilder mit optischen Täuschungen oder anderen Finessen gezeigt, und im Anschluss werden ihre Reaktionen ausgewertet. Man versucht also, wie in den Naturwissenschaften üblich, in kontrollierten Versuchsabläufen und aus der Perspektive der dritten Person, etwas über den Untersuchungsgegenstand herauszubekommen, der in diesem Fall die Erste-Person-Perspektive der Versuchspersonen ist. Natürlich treten die genannten Hindernisse auf. Die Versuchspersonen können nicht einfach exakt erklären, wie es für sie ist, die Farbe Blau zu sehen oder andere Eindrücke zu erleben und in manchen Wahrnehmungen, die sie den Wissenschaftlern mitteilen, werden sie sich sogar irren. Sie werden sich von manchen Eindrücken täuschen lassen und behaupten, Dinge gesehen zu haben, die in Wahrheit nie an ihren Sinnesorganen angekommen sind. Aber trotz allem und unter Berücksichtigung dieser Unzuverlässigkeiten glauben Dennett und andere, über die Aussagen der Probanden an die nötige Information heranzukommen, um zu rekonstruieren, wie es ist, diese andere Person zu sein.
Küchenschränke und Qualia
Dennett beschreibt ein Beispiel für einen solchen Versuchsablauf, um zu demonstrieren, dass es sich bei den sogenannten Qualia seiner Gegner um einen unklaren und vielleicht sogar unsinnigen Begriff handelt. Dennett greift hier das klassische Beispiel des Farbensehens auf. Den Versuchspersonen werden mehrfach hintereinander im schnellen Wechsel zwei Fotos einer Küche gezeigt. Die beiden Bilder sind fast identisch. Nur eine der Schranktüren ist im einen Bild weiß und im anderen ist sie braun. Die meisten Versuchspersonen müssen sich eine ganze Reihe von Bildwechseln ansehen, bis sie den Unterschied bemerken. Denntt fragt seine philosophischen Gegner nun, wie es sich hier mit den Qualia der Farbwahrnehmungen verhält. Hat eine Person, die den Wechsel von weiß nach braun zwar schon gesehen aber noch nicht bemerkt hat, nun ein Weiß- oder Braun-Erlebnis? Geht es bei den Qualia also um das, was wahrgenommen wird, oder nur um die Aspekte, denen wir unsere Aufmerksamkeit schenken. Dennett glaubt, an diesem Beispiel zeigen zu können, dass seine philosophischen Gegner selbst nicht genau wissen, worüber sie überhaupt sprechen.
An diesem Streit um den Begriff der Qualia zeigt sich bereits ein grundsätzlicher Konflikt, der sich durch das gesamte Buch zieht und der sich aus Dennetts Sicht ungefähr so darstellt: Immer wenn er das Gefühl hat, einen ihrer Punkte widerlegt zu haben, behaupten seine Gegner, eigentlich von Anfang an etwas ganz anderes gemeint zu haben. Sie ziehen sich auf einen anderen Punkt zurück, den sie jetzt als den eigentlichen Kern des Problems darstellen, so dass die Qualia am Ende doch immer das sind, was er mit seiner Theorie nicht zu Greifen bekommt. Die Gegenseite wirft ihm also immer wieder vor, am eigentlichen Problem vorbei zu argumentieren und noch nicht über den Kern des Bewusstseins zu sprechen.
Dieses Problem zeigt sich sehr deutlich anhand von zwei Gedankenexperimenten die Dennett in diesem Buch ausführlich attackiert. Das erste stammt von dem australischen Philosophen David Chalmers und lautet etwa wie folgt. Angenommen, es gibt eine Person, die äußerlich exakt mit mir identisch ist. Sie sieht genau so aus und hat dieselben physischen Eigenschaften wie ich, sie ist so dumm oder intelligent wie ich und verhält sich in jeder Situation genau so, wie ich mich verhalten würde. Der einzige Unterschied zwischen mir und diesem Doppelgänger ist, dass es ihm an einer Ich-Perspektive fehlt. Er besitzt kein Bewusstsein und damit keine Qualia. Ihm fehlt es also genau an einer Art, wie es ist, er zu sein. Chalmers bezeichnet ihn daher als einen Zombie.
Vorstellbarkeit von Zombies
Die Frage, die Chalmers mit diesem Gedankenexperiment aufwirft, ist nicht, ob es solche Personen tatsächlich gibt. Das können wir sicher ausschließen, aber es spielt auch keine Rolle. Stattdessen ist die Frage, ob wir uns die Existenz solcher Personen prinzipiell vorstellen können. Wenn das so ist, geben wir damit zu, dass es sich bei dem Bewusstsein, also dem Unterschied zwischen mir und diesem Zombie, um etwas handeln kann, das aus der Perspektive einer dritten Person und damit durch naturwissenschaftliche Methoden, nicht festgestellt werden kann. Denn wenn dieser Zombie sich, wie im Gedankenexperiment vorausgesetzt, trotz fehlender Ich-Perspektive in allen Situationen genau so verhält, wie ich, dann wird es für die Forscher der Heterophänomenologie auch mit noch so ausführlichen Versuchsreihen nicht möglich sein, einen Unterschied zwischen uns beiden festzustellen.
Für David Chalmer sind solche Zombie-Doppelgänger vorstellbar und für Daniel Dennett sind sie es nicht. Aus Dennetts Sicht muss der Unterschied in fehlenden Qualia, wenn diese denn real sind, irgendwie im Verhalten des Doppelgängers bemerkbar und damit wissenschaftlich beobachtbar sein. Insbesondere bezweifelt Dennett, dass der Zombie die Frage, ob er ein Bewusstsein hat, genau wie ich mit „ja“ beantworten würde. Wenn ihm nun einmal die Ich-Perspektive fehlt, ist es fraglich, warum er das tun sollte. Aber da er andererseits nicht wirklich wissen kann, was ihm fehlt, und es per Konstruktion nicht erlaubt ist, sich in ihn hinein zu versetzen, bleibt es vielleicht doch vorstellbar, dass er die Frage nach dem Bewusstsein bejaht und vielleicht sogar aus irgendwelchen Gründen überzeugt ist, tatsächlich eines zu besitzen. Letztlich kann Dennett auf dieses an Intuitionen appellierende Gedankenexperiment auch nur mit seiner widersprechenden Intuition antworten.
Ähnlich verhält es sich mit dem zweiten Gedankenexperiment das der australische Philosophen Frank Jackson in den Achtziger Jahren vorgeschlagen hat. Wir sollen uns eine Neurowissenschaftlerin namens Mary vorstellen. Mary ist unter sehr speziellen Bedingungen aufgewachsen. Seit ihrer Geburt befindet sie sich in einer mit ausschließlich schwarzen und weißen Möbeln ausgestatteten, fensterlosen Wohnung und sie hat in ihrem Leben noch nie eine Farbe gesehen. Über ihren Schwarz-Weiß-Monitor steht sie mit der Außenwelt in Verbindung und sie hat es auf diesem Weg geschafft, sich ein enormes theoretisches Wissen über das Sehen von Farben anzueignen. Sie hat das menschliche Auge und die Farbwahrnehmung im menschlichen Gehirn perfekt studiert. Es gibt niemanden, der in der Theorie so viel über das Sehen von Farben weiß, wie Mary. Und trotzdem wird es, wie Jackson behauptet, für Mary ein ganz neuartiges Erlebnis und auch eine Überraschung sein, wenn sie endlich ihre Schwarz-Weiß-Wohnung verlässt und zum ersten mal die Farbe Blau sieht. Auch dieses Gedankenexperiment deutet also ähnlich wie im Fall von Nagels Fledermaus auf die Lücke zwischen dem, was wir aus Erster-Person-Perspektive erleben und dem, was sich wissenschaftlich erlernen und kommunizieren lässt. Was Mary fehlt, sind die Qualia des Farbensehens, und ausschließlich diese. Wenn uns das Gedankenexperiment plausibel erscheint und wir glauben, dass Mary beim ersten Anblick der Farbe Blau überrascht wäre, dann sind wir von der Existenz dieser Qualia überzeugt.
Die überraschte Mary
Daniel Dennett schreibt mit Verachtung und mit regelrechtem Hass über dieses Gedankenexperiment. Aus seiner Sicht ist diese Geschichte von Mary einfach nur schädlicher Unsinn und er widmet ihr ein langes Kapitel, in dem er schon die Grundannahmen in Frage stellt. Darf Mary auch nur in Schwarz-Weiß träumen? Was passiert, wenn sie die Augen schließt und das durch die Lider schimmernde Licht oder ein Druck auf die Augen Farben entstehen lassen? Aber letzten Endes bleibt Dennett, wenn solche Probleme einmal beseitigt sind und das Experiment entsprechend umformuliert wurde, auch hier nur die Antwort mit einer Gegenbehauptung. Jackson behauptet, Mary wäre überrascht, wenn sie ihr ersten Blau sieht, und Dennett behauptet, sie wäre es nicht. Denn weil Mary ja alles weiß, was man als Wissenschaftlerin über das Farbensehen wissen kann, kann sie, laut Dennett, im Rahmen einer heterophänomenologischen Methode eben auch langwierige Versuchsreihen mit Probanden durchführen, die blaue Gegenstände betrachten und aus deren Äußerungen und Verhaltensweisen indirekt eben doch lernen, wie es ist, die Farbe Blau zu sehen. In dem Moment, in dem sie vor die Tür geht und den blauen Himmel sieht, bestätigt sich also nur, was sie schon wusste. Die Gegenseite könnte darauf wieder behaupten, dass Mary mit dieser Methode sicher sehr viel aber eben doch nicht das Entscheidende, also das Wie-es-ist lernen kann.
Mehrmals betont Dennett in diesem Buch, wie frustrierend es für ihn ist, dass seine Gegner sich immer weiter auf einen unerklärbaren Rest der Qualia und des Bewusstseins zurückziehen wollen. In einem Kapitel des Buches vergleicht er seine Rolle in dieser Debatte mit jemandem, der versucht, einen Zaubertrick zu erklären. Zaubertricks haben es an sich, dass sie sehr viel einfacher erscheinen und manchmal kaum wieder zu erkennen sind, wenn uns jemand erklärt, wie sie funktionieren. Wir haben vielleicht aus der Kindheit eine besonders beeindruckende Vorführung in Erinnerung und jetzt behauptet jemand, dass wir damals nur auf ein paar ganz simple Handbewegungen hereingefallen sein sollen. Wir sagen ihm also, dass er uns gerade wahrscheinlich einen anderen Trick erklärt hat, denn der, den wir damals gesehen haben, war viel eindrucksvoller und sicherlich komplizierter. Ähnlich geht es also Dennett, der immer wenn er glaubt, das Bewusstsein mit seinen Argumenten entzaubert zu haben, von seinen Gegnern nur zu hören bekommt, dass er am Thema vorbei argumentiert habe und sicher Teile des Bewusstseins erklären könne, aber den eigentlichen Kern, eben nicht.
Unsagbarkeiten
An einer Stelle greift Dennett sehr konkret diese Kritik seiner Gegner auf. In der Debatte um Mary zitiert er den amerikanischen Philosophen William Lycan wie folgt aus einer persönlichen Mitteilung:
Was man weiß, wenn man weiß, wie es ist, etwas Blaues wahrzunehmen, kann man sprachlich nicht vollständig ausdrücken; zumindest ist es sehr schwierig, Worte zu finden (Worte, die keinen Vergleich ausdrücken). Man nimmt Zuflucht bei dem frustrierten Demonstrativpronomen: „Es ist wie… dies.“
Wegen dieser Unsagbarkeit, so Lycan, ist es für Mary nicht möglich, diese Information als Dritte Person aus den Erfahrungen anderer Menschen zu deduzieren. Dennett zweifelt genau diese Unsagbarkeit an. Ohne die Verwendung von Vergleichen auszudrücken, wie es ist, die Farbe Blau zu sehen, sei zwar sicher schwieriger, als zum Beispiel die Eigenschaften eines Dreiecks zu beschreiben, aber nur weil es noch niemandem gelungen sei, bedeute das nicht die Unmöglichkeit. Dennett sieht keinen Grund dafür, dass beispielsweise ein solches Farberlebnis nicht auch in Worte gefasst werden könnte, auch wenn es vielleicht sehr viele Worte sein müssten.
Ich persönlich halte Dennetts Argumente in diesem Punkt für nicht sehr überzeugend. Ich glaube, dass es hier tatsächlich etwas etwas Unsagbares gibt und als ein gewisser Beleg hierfür kann meiner Meinung nach die belletristische Weltliteratur herhalten. Erzähler und vor allem Romanciers haben über die Jahrhunderte hinweg alles mögliche in Worte gefasst. Es gibt unzählige Beschreibungen davon, wie es aussieht, wenn sich Mondlicht in einem See spiegelt und Wind über ein Kornfeld streicht. Wenn es möglich wäre, ohne den Verweis auf blaue oder kalte Gegenstände zu beschreiben, wie es ist, die Farbe Blau zu sehen, dann sollte es der eine oder andere Schriftsteller wenigstens versucht haben. Ich denke hier insbesondere an Schriftsteller wie Marcel Proust, dessen Werke bis an den Rand mit Beschreibungen von Wahrnehmungen gefüllt sind. Wenn er eine Möglichkeit gesehen hätte, auf ganz fundamentale Weise zu beschreiben, wie es ist, die Farbe der Augen von Gilberte Swann oder des Schals der Gräfin von Guermantes zu beschreiben, dann hätte er es sicher versucht. Und ihn hätte es am allerwenigsten gestört, wenn er dafür hundert Seiten mehr gebraucht hätte. Dass es aber in der gesamten Weltliteratur höchstwahrscheinlich keine solche Beschreibung davon gibt, wie es ist, etwas allgegenwärtiges wie das Blau des Himmels zu sehen, legt meiner Meinung nach doch nahe, dass es wahrscheinlich eben nicht möglich ist.
Wer hat nun also recht? Daniel Dennett, der daran glaubt, dass Neurowissenschaften das Bewusstein und alle seine Erlebnisse irgendwann vollständig erklären werden und unsere Nachfahren auf diese Diskussion so müde lächelnd zurückblicken werden, wie wir auf die Widerstände gegen die Kopernikanische Wende. Oder haben seine Gegner damit recht, dass es doch ein schwieriges Problem des Bewusstseins gibt, wie David Chalmers es genannt hat, das sich nicht einfach wie ein Zaubertrick weg erklären lässt, sondern unser Weltbild nachhaltig in Frage stellt. Dennett gibt sich in diesem Buch sehr überzeugt und kämpferisch. Wenn man ihm glauben will, ist es für seine Gegner höchste Zeit zu kapitulieren. An manchen Stellen schimmert aber hindurch, dass die Sache nicht so klar ist. Sonst wäre das Problem ja nicht so interessant.
Dennett schreibt: „Ich kann nicht beweisen, dass es kein Schwieriges Problem gibt, und Chalmers kann nicht beweisen, dass es doch eines gibt. Er kann an Ihre Intuitionen appellieren, aber das ist keine solide Grundlage für eine Wissenschaft vom Bewusstsein.“ Was diese Grundlage sein soll, ist aber genau die Frage. Die naturwissenschaftliche Methode, so wie wir sie kennen, kann es laut Dennetts Gegnern nicht sein. Dennett selbst beruft sich zwar konsequent auf diese Methode, aber an den Stellen, an denen er ganz direkt auf die Argumente seiner Gegner eingeht, wenn er also behauptet, dass Zombie-Doppelgänger nicht vorstellbar sind und Mary bei ihrem ersten Blau-Erlebnis nicht überrascht wäre, kann er gar nicht anders, als ebenfalls an unsere Intuition zu appellieren. Wir dürfen von der einen oder der anderen Seite überzeugt sein, aber am Ende steht es eben doch weiterhin unentschieden.
Daniel Dennetts Buch gibt jedenfall einen umfassenden Eindruck dieser Debatte. Auch wenn er diese sehr parteiisch aus seiner Sicht zusammenfasst, lernen wir hier auch viel über die Position seiner Gegner. An manchen Stellen ist das Buch für meinen Geschmack etwas zu angriffslustig und polemisch formuliert, aber vielleicht ist das in dieser Ecke der Philosophie auch einfach nur der übliche Gesprächston. Auch wenn Dennetts Ansichten mich persönlich nicht vollständig überzeugt haben, gibt dieses Buch insgesamt einen sehr originellen, geistreichen und elegant argumentierten Einblick in vielleicht eine der interessantesten Baustellen in der Philosophie der Gegenwart.
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A Conscious Mind von D. Chalmers
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