Mein Problem mit dem Bachmannpreis 2025

Seit fast fünzig Jahren sind die Tage der Deutschsprachigen Literatur ein im österreichischen Klagenfurth ausgetragener Wettbewerb, bei dem vierzehn Autorinnen und Autoren Prosatexte einer Länge von bis zu 25 Minuten vortragen, die dann von einer siebenköpfigen Jury bewertet werden und von denen einer am Ende mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet wird. Für mich gab es bisher zwei Gründe, sich mit dieser Veranstaltung zu beschäftigen, so wie ich es in den Jahren 2022 und 2023 in diesem Podcast ausführlich getan habe. Erstens habe ich hier von neuen Autorinnen und Autoren erfahren. Juan Guse, Martin Piekar, Behzad Karim Khani oder Alexandru Bulucz, um nur einige zu nennen, wären mir ohne den Bachmannpreis wahrscheinlich noch unbekannt.

Zweitens sehen wir bei diesem Literaturpreis, wie die Entscheidung der Jury zustande kommt. Die Lesungen, die Jury-Diskussionen und die Ergebnisse sind auf der Website des ORF verfügbar. Wir sehen, nach welchen Kriterien bewertet wird und wie die Juroren am Ende abstimmen. Wir sehen auch, wie diese sieben Literaturexperten mit einander reden. Wie sie sich gegenseitig zustimmen, überzeugen oder widersprechen. Diese Diskussionen können hart sein und das war schon immer so. Die Juroren teilen gegen die Texte und auch gegen einander aus. Gelegentliche gegenseitige Sticheleien und Attacken, machen, wie viele sicher denken, den besonderen Charme und auch einen gewissen Unterhaltungswert dieser Veranstaltung aus. So habe ich das in den letzten Jahren auch gesehen.

Im Jahr 2025 haben sich in diesen Diskussionen nun aber gewisse Szenen abgespielt, die mir die gesamte Veranstaltung entfremden. Ich sehe hier eine Tendenz, mit der ich weder als Zuschauer noch als Kommentator etwas zu tun haben will und ich habe deshalb schon jetzt entschieden, mich in nächster Zeit nicht mehr mit dem Bachmannpreis zu beschäftigen, vor allem nicht im Jahr 2026 zum fünfzigsten Jubiläum des Preises. In dieser Episode will ich diese Szenen beschreiben und erklären, was mich daran stört. Ich will aber trotz allem hier auch über die Texte sprechen, die man beim Bachmannpreis 2025 kennenlernen konnte.

In der Jury gab es seit meiner letzten Bachmannpreis-Episode eine wichtige Änderung. Nachdem die bisherige Vorsitzende Insa Wilke die Jury verlassen hatte und durch die in Hamburg lebende schweizer Dramatikerin Laura de Weck ersetzt wurde, ist es jetzt das zweite Jahr, in dem der österreichische Germanist Klaus Kastberger der Jury vorsitzt. Mara Delius leitet den Literaturteil der WELT, Philipp Tingler ist ehemaliger Bachmannpreis-Teilnehmer, Schrifsteller, Fernsehmoderator und nicht zuletzt Youtuber, Mithu Sanyal aus Düsseldorf ist Schriftstellerin und promovierte Kulturwissenschaftlerin, Brigitte Schwens-Harrant ist österreichische Literaturkritikerin und Journalistin und Thomas Strässle ist schweizer Literaturkritiker, Dozent und Autor.

Noch eine Warnung zu meiner Sprache, die vielleicht den einen oder anderen triggern wird. Beim Berichten über den Bachmannpreis hat es sich in allen deutschsprachigen Räumen eingebürgert, das Österreichische zu appropriieren und den Preis betreffende Sprechweisen der Jury zu übernehmen. Als Nicht-Österreicher habe ich mich hier, wie auch in den letzten Jahren, wieder ganz bewusst gegen diese gängige Praxis entschieden. Also Triggerwarnung: Der Bachmannpreis ist für mich kein Bewerb sondern ein Wettbewerb und er findet nicht heuer statt, sondern dieses Jahr.

„Madonna in den Trümmern“ von Fatima Khan

Der erste Lesetag beginnt mit Fatima Khans Text „Madonna in den Trümmern“. Es ist ein Brief einer in einem muslimischen Elternhaus aufgewachsenen Frau an ihren Vater. Der ist ein hochreligiöser Koran-Gelehrter und hat, wie aus den erzählten Episoden hervorget, seine Frau und Töchter jahrzehntelang tyrannisiert. Über die Sprache findet zwischen Tochter und Vater ein Machtkampf statt. Der Vater bestraft die Tochter, wenn sie Koran-Verse nicht in perfektem Arabisch zitiert und braucht andererseits ihre Hilfe in der Kommunikation mit deutschen Behörden. Der Text ist einerseits eine Abrechnung mit dem Vater und erzählt andererseits von einer Entwicklung der Tochter, die sich in Deutschland erst kulturell ausgeschlossen fühlt und dann ihren Zugang zur Sprache entdeckt und Kirchen besichtigt. Es gibt einige gute Stellen in diesem Text. Als die Tochter zum Beispiel darüber nachdenkt, warum sie so lange schon literarische Texte schreiben wollte und noch nicht damit angefangen hat, heißt es: „Vielleicht ist der höchste Grad an Obsession, etwas nicht zu tun.“ Ein Satz, der sich meiner Meinung nach wunderbar auf T-Shirts drucken ließe.

Aber der Text hat auch eine Schwäche, die in der anschließenden Besprechung auch von Mara Delius, Thomas Strässle und Brigitte Schwens-Harrant angemerkt wird. Obwohl der Text ein Brief an den Vater sein soll, werden hier Dinge erklärt, die der Vater selbst sehr gut weiß, wie zum Beipsiel, dass die linke Hand im Islam als unrein gilt. Das erklärt der Text eigentlich also uns Lesern und fällt damit anscheinend unbeabsichtigt aus seiner Briefform heraus. Frau de Weck und Frau Sanyal sehen das aber positiv als ein Durchbrechen der Lesererwartung. Auch Herr Kastberger ist der Meinung „des passt schon irgendwie“ und unterstellt ebenfalls eine Absicht. Gestört hat ihn aber die reiseführerhafte Beschreibung der Stadt Köln und insgesamt sieht er den Text eher negativ. Nach knapp zehn Minuten Diskussion passiert es dann endlich: Es fällt zum ersten mal beim Bachmannpreis 2025 mein Lieblingswort: „konventionell“. So findet Herr Tingler diesen Text nämlich. Frau Sanyal hingegen erkennt in ihm eine Suchbewegung und eine Sogwirkung. Frau Schwens-Harrant sieht starke Bilder und Emotionalität, die aber leider durch das Problem der Briefform durchbrochen und nicht stark genug ausgearbeitet sind. Frau Sanyal und Herr Tingler streiten sich noch darum, ob der Text einen Rhythmus hat und Frau de Weck, Frau Delius und Herr Kastberger sind sich am Ende uneinig, ob das erwähnte Problem der Brief-Perspektive wirklich eines ist. Insgesamt gehen die Meinungen also bei diesem ersten Beitrag stark auseinander und er wird nicht in der engeren Wahl für den Bachmannpreis sein.

„Das Danach“ von Nefeli Kavouras

Der zweite Wettbewerbsbeitrag mit dem Titel „Zentaur“ stammt von Nefeli Kavouras, die zusammen mit Anselm Neft den Literaturpodcast Laxbrunch moderiert. Ihr Text handelt vom langsamen Sterben des schwerkranken Mannes Georg und wird abwechselnd von seiner Frau Ruth und seiner sechzehnjährigen Tochter Leah erzählt. Es beginnt damit, dass Georg aus dem Krankenhaus nach Hause gebracht wird weil er nur noch palliativ behandelt werden kann. Ruth verucht sich ganz auf sein Sterben einzulassen, verbringt viel Zeit bei ihm und beobachtet den langsamen Verfall seines Körpers. Leah andererseits versucht, das Sterben ihres Vater so weit es geht aus ihrem Leben auszublenden und verliebt sich in einen Jungen namens Max, mit dem sie den Sommer verbringt. Der Text befindet sich im ständigen Wechsel, einerseits zwischen diesen beiden sehr entgegen gesetzten Umgangsweisen mit dem Sterben und andererseits zwischen Georgs tragischem Verfall und den Banalitäten im Leben seiner Familie. Mir gefällt dieser Text gut und an seiner für mich besten Stelle wacht der die meiste Zeit schlafende Georg auf und kommt für ein paar Zeilen selbst zu Wort. In einem überraschenden Ende stirbt er nicht sondern verwandelt sich in ein Pferd oder einen Zentaur.

„Wenn einem die Eltern peinlich sind, ist man nicht erwachsen“, so lautet ein Satz aus diesem Beitrag, der Herrn Strässle besonders gefällt. Er lobt aber auch die unterschiedlichen Stile, zwischen denen der Text wechselt. Herr Tingler mag den Text auch, kritisiert aber das Ende mit dem Pferd, das ihm wie eine Kapitulation vor der schwierigen Aufgabe vorkommt, die zwischen den drei Familienmitgliedern aufgebaute Spannung aufzulösen. Für Herrn Kastberger ist es einer der besseren Texte, die er in den letzten Jahren über das Sterben gehört habe und er lobt ebenfalls die verschiedenen Tonfälle und eine gewisse Schnoddrigkeit. Frau Sanyal lobt den Fluss des Textes, kritisiert aber ganz vorsichtig eine aus der Sicht von Tochter Leah beschriebene Episode. Frau Schwens-Harrand stört sich hingegen an den ersten Sätzen der Erzählung, in denen Ruth die Familie zu einem „Wir“ zusammenfasst, obwohl der Text zeige, wie weit die Sichtweisen der Familienmitglieder auseinander gehen. Herr Strässle findet das aber unproblematisch. Frau de Weck hat aus dem Text eine Erkenntnis über das Sterben mitgenommen, die sie, wie sie sagt, „mind blowing“ findet, nämlich, dass das Sterben tatsächlich wie ein Übergang zum Tier sei. Frau Delius hätte sich zwischen Mutter und Tochter unterschiedlichere Stimmen gewünscht und Herr Tingler stimmt ihr darin zu. Der Text wird also bis auf sanfte Kritik an einzelnen Aspekten von der gesamten Jury positiv beurteilt.

„Lambada tutto gas“ von Max Höfler

Max Höflers Text „Lambada tutto gas“ ist weniger eine Erzählung als eine Ansprache und Bühnen-Performance, in der ein Publikum direkt angesprochen wird. Am Anfang bedankt sich der Vortragende für die Lebenszeit, die das Publikum ihm für diese Aufführung schenkt. „Denn nichts ist teurer als eure teure Lebenszeit“, heißt es hier, „die dann einfach vorbei ist, wenn es aus ist.“ Eine sehr gefährliche Bemerkung, weil sie mich natürlich auf die Frage stößt, ob ich mit meiner teuren Lebenszeit wirklich nichts besseres anzufangen habe, als mir auch diesen und dann noch elf weitere Bachmann-Texte anzuhören. Es wird dann noch betont, dass es nach der Lebenszeit tatsächlich mit dem Leben vorbei ist und mit einigen Kalauern macht der Text sich dann noch über verschiedene Jenseitsvorstellungen lustig, die er seinem Publikum unterstellt. Als Max Höfler dann in einem zweiten Teil seiner Ansprache in breitestem Österreichisch über eine zersprungene, in Kinderarbeit hergestellte Müsli-Schüssel klagt, weiß ich, dass Herr Kastberger den Text lieben und Herr Tingler ihn hassen wird. Jetzt liegen schreckliche Schalenspritter auf dem Fußboden, die den barfuss herumlaufenden Gästen einer imaginierten Pyjamaparty gefährlich werden könnten. Die Fantasie dieser Party, auf der plötzlich auch Hollywood-Stars zu Gast sind, wird weiter ausgeführt. Herr Höfler hält dann ein Bild hoch, auf dem zwei süße Katze mit so etwas wie einer Müsli-Schüssel zu sehen sind. Dann imitiert Höfler eine imaginierte Kritiker-Diskussion über seinen bisherigen Text, in der eine Stimme das gerade gehörte als Zeitverschwendung kritisiert und eine andere den Text verteidigt. Wir erfahren später, dass dieser Einschub mit ChatGPT verfasst wurde. In einer dritten Ansprache Höflers geht es dann um einen kaputten Computer. Das Betriebssystem hat sich verabschiedet, sitzt jetzt an einer Strandbar, besäuft sich und jammert auf Österreichisch den Barkeeper voll. Am Ende stellt der Text in direkter Ansprache des Publikums noch einmal selbstironisch in Frage, warum wir uns das alles überhaupt anhören mussten. Ich bin an dieser Stelle wirklich verwirrt und weiß nicht, ob ich diese exaltierte, chaotische und ironische Performance sehr gut oder sehr schlecht finden soll. Es bleibt die Hoffnung, dass Philip Tingler mir diese Frage gleich beantworten wird.

Frau Sanyal lobt erst einmal, wie die hochgehaltenen Katzenbilder genutzt wurden, um den Text zu durchbrechen, hätte sich dann aber ein echtes Gegenüber und nicht nur ein abstaktes Publikum gewünscht, an das der Text mit seiner harten Sprache inklusive Fäkalien und Sperma gerichtet ist. Herr Strässle finded die von ChatGPT verfasste Passage am lustigsten an diesem Text und ist vom Rest eher enttäuscht weil sich das rhetorische Schema dieser Ansagen schnell abnutze. Herr Tingler hatte genau wie ich schon nach wenigen Sätzen erkannt, dass der Vorschlag von Herrn Kastberger kam. Obwohl er den Text ganz schlimm findet, liegt für ihn auch eine gewisse Melancholie und Tragik über dieser Performance. Er glaubt, dass es solche Texte bald nicht mehr geben wird, und aus dieser Sicht war ihm die Performance sympathisch. Für Frau Delius folgt diese von Herrn Tingler angedeutete Melancholie aus der Erwähnung der vergehenden Lebenszeit. Sie lobt einige gelungene Bilder, hätte sich aber noch weitere sprachliche Sprünge gewünscht. Frau de Weck hat der Text nicht erreicht, weil die Ansprache zu direkt und die Absicht, witzig zu sein, für sie zu offensichtlich war. Frau Schwens-Harrant sieht in der Überforderung des Publikums durch mehrfache direkte Ansprache eher einen beabsichtigten und positiven Punkt. Sie stellt sich vor, dass sich die Ansprachen noch beliebig oft wiederholen könnten und man dann zwischenduch ein Bier holen und später im Text wieder zuhören könnte, ohne Wesentliches zu versäumen. Herr Kastberger, der den Text vorgeschlagen hat, sieht darin ein fantasieanregendes Prachtsück und ein Paradebeispiel der österreichischen Literatur, weil von der Hölle und dem großen Ganzen bis zum banalen der Müslischüssel alles drin sei und der Text vom Zerbrechen der Müslischüssel bis zum Abstürzen des Betriebssystems einer inneren Logik folge. Herr Kastberger ist von diesem seiner Meinung nach typisch österreichischen Text, den man nur in Österreich schreiben kann, über alle Maßen begeistert und wenn er an dieser Stelle die österreichische Nationalhymne angestimmt hätte, hätte es mich nicht übertrascht.

Gegen Ende der Besprechung kommt es dann noch zu einer Diskussion zwischen Frau Sanyal, Herrn Kastberger und Herrn Tingler, ob Literatur aus der Distanz kritisiert werden könne, oder ob man dafür eine Nähe zum Text brauche. Frau Sanyal vertritt die Ansicht, Nähe zum Text sei nötig, und meint damit anscheinend nicht eine emotionale Nähe sondern eher ein genaues Hinsehen. Literaturdozent Kastberger erklärt ihr, dass das falsch ist und man damit einen Großteil der modernen Literatur einfach ausschließe. Von Herrn Tingler wird Frau Sanyal dann noch sehr von oben herab aufgefordert, vernünftig zu argumentieren und sich nicht ständig selbst zu widersprechen. Es passiert hier also wieder etwas, das mir vor zwei Jahren schon unangenehm aufgefallen war, nämlich, dass dienstältere Herren der Jury sich berufen fühlen, Frau Sanyal mal vor laufenden Kameras ganz grundsätzlich zu erklären, wie Literaturkritik funktioniert. Wir behalten diese Tendenz mal im Auge.

„Adlergestell“ von Laura Laabs

Im Text „Adlergestell“ von Laura Laabs werden aus der Sicht eines Mädchens zuerst die Wohnung von Anna Seghers und dann die Süßigkeiten im darunter liegenden Lebensmittelgeschäft beschrieben. Am ersten Schultag überkommt das Mädchen ein „mulmiges Gefühl“, wie es heißt und auch die Lehrerin Frau Hagedorn will sich am liebsten zwischen ihren Schulterpolstern verstecken, weil es das erste Schuljahr nach Ende der DDR ist. Mit der betonten Leichtigkeit und Phrasenhaftigkeit des Textes kann ich leider an dieser Stelle schon überhaupt nichts mehr anfangen. Kinder „stromern“ die Straße herunter, in ihren Augen „liegt ein Funkeln“ und auch sonst erinnert mich die Sprache unangenehm an Kinderbücher meiner eigenen Grundschulzeit, was wahrscheinlich beabsichtigt ist, weil die Handlung sich genau in dieser Zeit abspielt. Zwischen ein paar Grundschulepisoden aus den Erinnerungen der Erzählerin liefert der Text auch Kapitalismus- und Konsumkritik. In den linierten Schulheften sind die Linien ein Raster für die Sicht auf die ganze Welt, was ich sehr klischeehaft finde. Zusammen mit Mitschülerin Chaline dringt die Erzählerin dann noch in eine verlassene DDR-Behörde ein. Die Kinder klauen Mercedes-Sterne, zerstören Kaugummi-Automaten, begehen noch ein paar andere kleinkriminelle Akte, alles im Hanni-und-Nanni-Stil. Sie nimmt an einer Demonstration teil, bei der gerufen wird: „Wir protestieren auf allen Vieren, denn wir wissen: Helmut Kohl ist beschissen“. Und dann fängt es auch noch zu regnen an. Die Kinder werfen dann Steine von einer Autobahnbrücke herunter und lösen eine Tragödie aus. Der Text endet dann damit, dass die Erzählerin auch als Erwachsene wieder zu Demonstrationen geht.

Frau Sanyal findet den Text ganz toll, sehr dicht und poetisch. Auch Herr Strässle findet vieles gut, sogar subtil, zum Beispiel die Kapitalismuskritik in der Beschreibung der Süßigkeiten. Allerdings fallen ihm auch sprachliche Manierismen auf, die mich sehr gestört haben. Was ihn aber noch mehr stört, ist ein Klischee, das mir aus Mangel an Aufmerksamkeit schon nicht mehr aufgefallen ist, nämlich, dass die Ich-Erzählerin am Ende anscheinend an AfD- und Pegida-Demonstrationen teilnimmt, wie angedeutet wird. Diese Wendung ist für ihn nicht ausreichend motiviert. Herr Tingler findet den gesamten Text wenig komplex und das politische, überraschende Ende kommt auch für ihn vollkommen unvermittelt. Frau Sanyal weist zur Verteidigung des Textes auf einen Punkt hin, der mir neben der politischen Anspielung am Ende auch entgangen war, nämlich, dass sich das Symbol des Reichsadlers als roter Faden durch den Text ziehe. Der Adler steckt schon im Titel, taucht an verschiedenen Stellen wieder auf und befindet sich am Ende auf der Flagge, die von der nach rechts abgedrifteten Erzählerin geschwenkt wird. Insofern findet sie das Ende gut motiviert. Herrn Tingler genügt das aber nicht. Er kritisiert Frau Sanyal für eine angeblich „total oberflächliche, platte Analyse“ des Adler-Motivs. Frau Sanyal gibt die Komplimente „oberflächlich“ und „unterkomplex“ an Herrn Tingler zurück. Wir behalten hier weiterhin ein Auge auf diese Freundschaft. Herrn Kastberger fällt zu dem Text natürlich das Wort konventionell ein, aber trotzdem gefällt ihm der Ton. Das Ende ist auch für ihn allerdings nicht gut motiviert. Frau de Weck glaubt, der Rote Faden des Textes sei nicht das Symbol des Adlers sondern eher der immer wiederkehrende Schock, erst durch die politische Wende, dann durch das Steinewerfen auf der Autobahn und am Ende dann durch die Pegida-Demo. Es geht für sie in diesem Text um die Verknüpfung politischer Entscheidungen mit Emotionen. Frau Schwens-Harrant lobt die beschriebenen Kindheitserinnerungen an kleine Lebensmittelgeschäfte. Auch sie kritisiert aber das Ende und sie sieht darin sogar eine gefährliche Vereinfachung politischer Werdegänge. Auch für Frau Delius funktioniert der Effekt am Ende nicht. Der Überraschungseffekt am Ende hat dem Text insgesamt also eine eher negative Beurteilung eingebracht.

„Die Jäger von Chitwan“ Verena Stauffer

Nachdem mich mit den Texten von Frau Laabs und Herrn Höfler zwei lebhaft bis lustige Texte nicht erreicht haben, kommt jetzt mit Verena Stauffers „Die Jäger von Chitwan“ auch noch ein sehr ernster Text, der mich genau so wenig erreicht. Es geht um das gegenseitige Morden im Tierreich und unter Menschen. Sehr sachlich erfahren wir Details über die Fauna in der Wildnis von Nepal, die Kämpfe zwischen Tigern, Hunden, Wölfen und sonstigen Tieren. Erwähnt wird unter anderem ein bestimmter Elefant, der fünfzehn Menschen umgebracht habe. Von hier kommt der Text dann schrittweise über verschiedene Akte der Gewalt unter Menschen zum Krieg in der Ukraine und der Diktatur Vladimir Putins, ohne dass dieser namentlich genannt wird. Wolfsrudel und andere Gruppierungen in der Tierwelt werden mit für die Gewaltausübung relevanten menschlichen Organisationen wie etwas Geheimdiensten in Verbindung gebracht. Es geht zwischdrin auch um ein Mädchen, anscheinend eine Urlauberin, die in Nepal von einem Kellner belästigt wird und um die romantische Schönheit des in der kälte klirrenden Sibirien. Dann wieder sachlicher Nachrichtentext über Desinformationskampagnen des Ukraine-Kriegs. Eine mutmaßliche Verbindung zwsichen dem russischen Geheimdienst und dem Attentat in München wird erwähnt und so weiter. Gegen Ende werden endlos lang die Tiere aufgezählt, die in Chitwan leben. Auf mich wirkt diese Mischung aus einer Faktensammlung aus der Tierwelt und einer weltpolitischen Analyse der Gegenwart unmotiviert, ziellos und leider auch langweilig.

Zu meiner Überraschung scheint die Jury mit dem Text überfordert zu sein. Erst will niemand mit der Besprechung beginnen und dann meldet sich Herr Tingler, aber nur um Herrn Kastberger zu fragen, worum es in dem Text gehe, weil Herr Kastberger den Text vorgeschlagen hat. Aber der weigert sich, das zu beantworten. Frau Delius lobt dann die Vielfalt der erwähnten Tiere und nennt zur Einordnung schon mal den Begriff nature writing, kann aber mit den politischen Teilen auch nicht viel anfangen. Frau de Weck erwähnt schließlich, dass hier Weltpolitik mit Hilfe von Naturbetrachtungen erklärt werde. Frau Sanyal mochte zwar den Rhythmus, findet aber die politischen Analysen und auch sonstige Aussagen des Textes problematisch, besonders wenn Diktatoren mit wilden Tieren verglichen werden. Herr Strässle stimmt dieeser Kritik zu und sieht den Text im Genre, in der Erzählperspektive und auch in der Themenwahl unentschieden. Sexuelle Belästigung, die Anschläge vom elften September, der Drohnenkrieg in der Ukraine, Klimawandel und vieles mehr werde wild durcheinander gemixt und das alles ohne Erkenntnisgewinn. Herr Kastberger will allerdings wert auf die Ästhetik legen und findet es andererseits auch toll, was hier thematisch alles mit einander in Verbindung gebracht wird. Frau Schwens-Harrant bemerkt, dass die Geschichte mit dem sexuell belästigten Mädchen die sonstigen Sachbehauptungen durchbricht und es beunruhigt sie sehr daran, dass hier das Klischee des einheimischen Bedrohers aufgebaut wird, ohne aufgelöst zu werden. Die Diskussion endet mit überwiegend negativen Eindrücken von diesem Text. Nach diesem ersten Lesetag lässt sich festhalten, dass Nefeli Kavouras Text noch am besten bewertet wurde, aber alle Texte für irgendeinen Aspekt relativ hart kritisiert wurden. Ich darf auch schon verraten, dass keiner der bisherigen Texte mit einem der Preise ausgezeichnet wird.

„Da Sta“ von Natascha Gangl

In Natascha Gangls Text „Da Sta“ geht es um eine Person, die mit „Du“ angesprochen wird und von der erzählt wird, dass sie zu einem Bach in einer ländlichen Gegend in der Steiermark fährt, um dort mit einem Mikrofon die Geräusche eines Bachs aufzunehmen. Diese Protagonistin wird am Bach von einem uniformierten Mann angesprochen und glaubt zuerst, er sage zu ihr etwas über Juden, aber es ist, wie sie später beim Hören ihrer Aufnahme merkt, ein Missverständnis, denn der Mann sagt nur: Wen interviewst denn da? Dass sich diese Frage erst so ähnlich angehört hat wie „wegen der Juden da“ gewinnt aber dadurch eine eigene Bedeutung, dass die Person, die offenbar für ein Kunstprojekt die Bachgeräusche aufnimmt, bei dieser Gelegenheit auch in ein Waldstück kommt, in dem sie einen Gedenkstein findet. Jahre später trifft sie sich dann mit dem Nachfahren einer Jüdin, der diesen Gedenkstein errichtet hat, um an 48 jüdische Einheimische zu erinnern, die an dieser Stelle von der SS erschossen wurden. Der sehr poetische Text arbeitet mit Passagen in steirischem Dialekt und stellt eine Verbindung zwischen der Sprache und der Gegend und Natur der Steiermark her. Das passiert schon ganz am Anfang, indem die Frage „Wou g’hearstn du hi?“ in die Frage „Wo hörst denn du hin?“ übergeht und damit das Feld eröffnet, in dem sich die Handlung abspielt. Es geht um das in diese Gegend Hingehören und auch um das auf den Bach, den Mann in Uniform und den jüdischen Nachfahren gerichtete Hinhören der Protagonistin. Es geht auch um ein Eindringen in eine Region unter ihre Oberfläche, und das passiert hier ganz buchstäblich, indem die Person erst auf das Wasser des Bachs hört, dann mit dem Wasser im Waldboden einsinkt und dort stecken bleibt und dadurch zu einen noch tieferen Eindringen bis zur Entdeckung des dortigen Massengrabs gebracht wird. Ich persönlich bin eigentlich überhaupt kein Fan von akustischen Sprachexperimenten, aber sogar mir gefällt dieser kunstvolle und gleichzeitig inhaltlich sehr klare und stimmige Text sehr gut.

Frau Delius lobt die Performance des Textes und findet, es gehe hier darum, Erinnerung klangbar zu machen. Herr Strässle findet den Text sogar einfach genial und betont seine Schlüssigkeit. Er sieht in seiner Sprache eine Poesie, die nicht Selbstzweck ist. Herr Kastberger zählt erst einmal ein paar österreichische Autoren auf, die sich auch schon mit den Verbrechen am Ende des Zweiten Weltkriegs befasst haben. Dann spricht er lange über die Geschichte verschiedener österreichischer Regionen und die steirische Landeshymne und erwähnt noch irgendwelche früheren österreichischen Bachmannpreis-Teilnehmer. Nach diesem Monolog hat er aber doch auch noch etwas über den Text von Frau Gangl zu sagen, nämlich, dass es hier sehr um die Stimme gehe und der steirische Dialekt hier zu einem Lebendigwerden der Sprache führe. Frau de Weck hat wegen des Dialekts zuerst einiges nicht verstanden und auch bei manchen Sprachspielen hat sich ihr kein Sinn erschlossen. Herr Tingler lobt ganz knapp die Souveränität der verwendeten Sprache. Frau Schwens-Harrant betont die Verschiebung vom Zugehören zum Hören und verteidigt den Text gegen den Begriff der Sprachspielerei. Die im Text steckenden Anagramme haben für sie ebenfalls etwas mit einer Loslösung von Zugehörigkeiten zu tun. Frau Sanyal findet, der nächste Schritt im Anschluss an diesen Text müsse ein Denken nicht nur an die getöteten sondern auch an die lebendigen Juden sein.

Diese harmlose Bemerkung führt bei Herrn Kastberger zu einer Reaktion, die ich persönlich als vollkommen ekelhaft empfinde. Aus irgendeinem Grund scheint er in Frau Sanyals Äußerung eine Relativierung von Nazi-Verbrechen zu erkennen und erklärt seiner Kollegin, dass es an diesen Verbrechen nichts zu relativieren gebe. Herr Tingler applaudiert Herrn Kastberger allen ernstes auch noch für diese Zurechtweisung. Und weil er schon einmal dran ist, kommt Herr Kastberger dann noch darauf zurück, dass Frau Sanyal bei der Besprechung von Verena Stauffers Text bemerkt hatte, sogar Putin habe ihr an einer Stelle leid getan, weil er so unterkomplex dargestellt sei. Putin, so erklärt Herr Kastberger seiner Kollegin, sei ein Verbrecher, der einem nicht leid tun würde. Wieder demonstrativer Applaus von Herrn Tingler. Es ist eine absurde, ekelerregende Szene. Herr Kastberger will dann eigentlich gar nicht mehr aufhören zu reden, aber auf Drängen des Moderators und Herrn Strässles darf Frau Sanyal sich dann doch gegen diese Beschuldigungen verteidigen. Sie erklärt noch einmal, sie habe gesagt, dass wir uns, wenn wir uns an die Verbrechen der Nazi-Zeit erinnern, oft nur an den Tod der Opfer erinnern, aber dass diese Menschen mehr waren, als ihr Tod. Sie zitiert damit den Schriftsteller Max Czollek. Außerdem sei die Erinnerungskultur in Deutschland sehr ich-bezogen und wenig auf die jüdische Lebenswelt gerichtet. Herr Tingler erklärt ihr, dass das alles nicht in diese Debatte gehöre und sorgt sich jetzt plötzlich um den Zeitplan der Veranstaltung, die ihm bei Herrn Kastbergers langatmiger Zusammenfassung der österreichischen Regionalgeschichte noch vollkommen egal war. Auf Kosten von Frau Sanyal, die weder über Putin noch über die Verbrechen der Nazis hier irgendetwas auch nur im Ansatz anstößiges gesagt hat, wollen Herr Kastberger und Herr Tingler also demonstrieren, dass sie im Gegensatz zu ihr politisch auf der richtigen Seite stehen.

Der österreichische Nationalstolz, den Herr Kastberger in der Besprechung zu Max Höflers Text zur Schau gestellt hat, und seine belehrenden Monologe, die oft nur sehr peripher etwas mit den Wettbewerbsbeiträgen zu tun haben, kann ich noch tolerieren. Auch an Herrn Tinglers herablassende Erklärungen, wie Literaturkritik funktioniert, gewöhnt man sich irgendwann. Aber diese von Kastberger inszenierte und von Claqueur Tingler unterstützte Szene verändert meine Sicht auf die gesamte Veranstaltung. In allen Medien, die sich für dieses Format noch interessieren, ist immer wieder die Rede von dem manchmal etwas bissigen aber im großen und Ganzen ja amüsanten Schlagabtausch zwischen den Juroren und auch ich habe das bisher so gesehen. Wenn man einander aber vor laufenden Kameras aus heiterem Himmel die Relativierung von Nazi-Verbrechen unterstellt um sich selbst in ein günstigeres Licht zu rücken, hört der Spaß für mich jedenfalls auf. Unter einem Jury-Vorsitz von Insa Wilke hätte es eine solche Szene sicher nicht gegeben. Ich finde den Vorfall so widerlich, dass ich die Zusammenfassung eigentlich hier beenden will. Natascha Gangl gewinnt am Ende den Bachmannpreis und damit könnte man es hier eigentlich abschließen. Es ist allerdings so, dass zwei oder drei wirklich gute Texte noch kommen. Den zwölf Leuten, die jetzt noch zuhören, schlage ich also vor, dass wir uns die zweite Hälfte der Texte trotz allem noch ansehen und dann das Thema Bachmannpreis auf diesem Kanal ein für alle mal beenden.

„Sickergrubenblau“ von Sophie Sumburane

Sophie Sumburanes Text „Sickergrubenblau“ beginnt mit der Schilderung eines Dates, das die Erzählerin vor zwei Tagen mit einem Briten namens Oliver in einer berliner Bar hatte. Der Mann war mit seinen sickergrubenblauen Augen zwar gutaussehend aber in seiner Art über sich selbst zu reden eher unangenehm. Der weitere Verlauf des Abends wird im Gespräch mit einer Freundin stückweise rekonstruiert. Die Erzählerin erinnert sich nicht mehr, aber in ihrer Wohnung liegen die Glasscherben von einer Flasche, die der Mann beim Date in der Hand hatte. Als sie durch Berlin geht und einen anderen Mann mit einer ähnlichen Flasche vor einer Bar sitzen sieht, geht sie hin, wirft die Flasche auf den Boden und ohrfeigt den Fremden, ohne wirklich zu wissen, warum sie das tut. Schrittweise erfahren wir, dass Oliver sie mit Gewalt in seine Wohnung gezerrt und sie anscheinend betäubt hatte. Sie ekelt sich seitdem vor dem eigenen Körper und hat Selbstmordgedanken. Oliver ist mit einer ihrer Freundinnen befreundet und wird von ihr verteidigt, indem sie seine Tat kleinredet. Die Erzählerin sieht sich am Ende in einer ausweglosen Situation, weil Olivers Tat jetzt ein Teil von ihr geworden ist und sie vor sich selbst nicht fliehen kann. Mir gefällt dieser Text gut.

Frau de Weck sieht in dem Text eine Chronik des Verlustes, in der am Ende auch die Freundschaften der Frau verloren gehen. Sie hätte sich aber eine härtere Sprache für die Schilderung der Grausamkeiten gewünscht. Herr Strässle findet den Text sehr gut. In Olivers Spielen mit der Wasserflasche während des Dates liegt für ihn eine sich steigernde Bedrohlichkeit. Frau Sanyal hat diesen Text wegen der berührenden Sprachlosigkeit der Protagonisten vorgeschlagen. Herr Tingler hingegen findet diesen Text, wie er sagt, „hochgradig konventionell“. Es wird ihm zu viel auserzählt und die Dialoge sind für ihn alle konventionelle Muster. Frau Sanyal antwortet darauf, wenn sie Herr Kastberger wäre, würde sie Herrn Tinglers Statement jetzt als Relativierung von sexueller Gewalt bezeichnen. Frau Delius findet das Thema sexuelle Gewalt wichtig, stimmt Herrn Tingler aber in seiner formalen Kritik zu. Das Motiv der Flasche kommt ihr zu häufig vor. Frau Schwens-Harrant äußert die Bitte, klar zu trennen, ob der Inhalt oder der Text kritisiert werde. Inhaltlich findet sie das Thema der sexuellen Gewalt und der mangelnden Solidarität wichtig. In der Textumsetzung hinterfragt sie aber die Darstellung der Erinnerungslücken der Erzählerin. Professor Kastberger klärt uns darüber auf, dass die Trennung von Inhalt und Form ein Thema von Pro-Seminaren sei. Wahrscheinlich soll diese Bemerkung uns das daran erinnern, dass er solche Seminare hält. Den Text sieht er in seiner angeblichen Antquiertheit in der Tradition der Gruppe 47. Er glaubt allerdings dem Text jedes Wort und meint damit wahrscheinlich die Inhaltsebene. Insgesamt ist das Urteil der Jury also nicht so überschwenglich wie bei Frau Gangl aber doch eher positiv.

„Dinner Freitagabend“ von Josefine Rieks

Am Anfang des Textes „Dinner Freitagabend“ von Josefine Rieks muss ich erst einmal googeln, was Nem cuốn und was Jimmy Choo-Slipper sind. Es stellt sich dann heraus, dass hier drei junge Frauen in Designerschuhen ein Abendessen mit vietnamesischen Sommerrollen vorbereiten. Die Frauen überbieten sich gegenseitig in extravaganten Lifestyle-Details. Eine von ihnen weiß zu berichten, dass ihre Hausschuhe aus dem Fell von Alpakas bestehen, die eines natürlichen Todes gestorben seien. Die Ich-Erzählerin ist eine der drei Frauen und sie betont, dass ihre Wimpern genau wie ihr Haar weißblond ist und dass diese Kombination nur auf 0,7% der Menschheit zutrifft. Kurz gesagt sind die drei Frauen also auf eine absurde Weise auf Äußerlichkeiten fokussiert und wir erfahren, dass sie in der Modebranche arbeiten. Eine von ihnen ist dann mit dem Dekorieren der Sommerrollen überfordert und zieht sich mit einem halben Nervenzusammenbruch zurück, weil sie sich noch umziehen muss. Ein Satz, der mir besonders gefällt, lautet: „Ihre Sommersprossen schimmern als perfekte kleine Punkte, die sich im Bronzeton ihrer Haut über ihren Nasenrücken verteilen, als stünde hinter ihren relativen Abständen zueinander eine mathematische Formel.“ Unter der schönen Oberfläche brodelt aber ein schwerwiegender Konflikt. Alle drei haben nämlich eine DNA-Analyse machen lassen und wissen deshalb genau, was sie essen müssen. Aber angeblich ist nur bei der Ich-Erzählerin herausgekommen, dass sie essen kann, was sie will. Das ist nicht etwa eine gute Nachricht, sondern es ist ihr sehr peinlich. Die beiden anderen behaupten, die ihre Analyse habe irgendweche Empfehlungen zu bestimmten Fettsäuren und anderen Details ergeben, aber die Ich-Erzählerin zweifelt das voller Neid an und beobachtet sie argwöhnisch. Dann kommen zwei weitere Freundinnen dazu und bringen alkoholfreien Chardonnay mit. Auch ein Mann kommt dazu und die Partygesellschaft tauscht weitere technische Details zu ihren DNA-Analysen und auch zum Thema Fußbodenheizung aus. Zu einem kleinen Eklat kommt es dann, als eine Frau namens Bea Lou, die offenbar die Spielregeln dieser Gesellschaft nicht kennt, die Gastgeberin darauf hinweist, dass die laut DNA-Analyse benötigten Omega-3-Fettsäuren auch in veganen Ölen enthalten sind und man deshalb auf die in den Sommerrollen verarbeiteten Schrimps hätte verzichten können. Die grauenerregend oberflächliche Dinner-Party endet dann schon um neun Uhr, weil alle am nächsten morgen früh raus müssen. Ich finde diesen Einblick in die berliner Mode-Gesellschaft sehr witzig. Es ist ein Text, der meiner Meinung nach sehr gekonnt die Leere und Hohlheit im Leben dieser Menschen zeigt.

Auch Frau Delius findet diesen von Oberflächlichkeiten handelnden Text teilweise sehr komisch, insbesondere den Schlussatz „Es ist einundzwanzig Uhr“. Herr Kastberger findet es sehr logisch, dass Herr Tingler diesen Text vorgeschlagen hat und weil es so gut passt, hätte er fast erwartet, dass Tingler selbst dort als Partygast auftaucht. Er ordnet den Text zur Pop-Literatur zu, die hier als reine Komödie wiederkehre, wobei der Witz sich für ihn aber schnell abnutze und er den Text letztlich belanglos findet. Herr Strässle findet es gut, eine Satire im Wettbewerb zu haben. Ihm ist außerdem die Besonderheit der den Faux Pas begehenden Figur Bea Lou aufgefallen, als einzige Figur möglicherweise ein Bauchnabelpiercing zu tragen. Frau Schwens-Harrant hätte sich noch eine Wendung und Brechung der Ironie erwartet. Sie hatte nicht das Gefühl, diesem Text einen Mehrwert entnehmen zu können und ähnlich wie für Herrn Kastberger ist es für sie ein literarisch eher uninteressanter Text. Frau Sanyal ging es beim ersten Lesen ähnlich, lobt dann aber sehr genaue Beobachtungen im sauber gearbeiteten Text, den sie allerdings nicht brauche. In den Figuren erkennt sie eine tiefe Tragik und Einsamkeit. Frau de Weck fand es schön, dass es in diesem Text eben keine Eskalation gibt, weil man schon so viele Dinner-Texte mit Eskalation kennt. Es stört sie aber, dass man selbst über die Erzählerin nur Oberflächlichkeiten erfährt und wünscht sich von ihr irgendwelche kritischen Gedanken. Ich persönlich finde es übrigens gerade konsequent, dass auch die Erzählerin eine vollkommen hohle Figur ist, denn sonst müsste man sich fragen, warum sie ihren Abend in dieser Gesellschaft verbringt. Herr Tingler, der diesen Text lange und ausführlich lobt, sieht hier keinen Abklatsch von Pop-Literatur sondern eine poetische Beschreibung des Zustands unserer Zeit. Im Schreiben über das, was sich sagen und nicht sagen lässt, sieht er hier aber auch einen zeitlosen Aspekt. Dass Herr Tingler diesen Text gut findet, kommt für den stolzen Österreicher Professor Kastberger natürlich daher, dass Herr Tingler schon so lange in der Schweiz lebt. Dann möchte Herr Kastberger noch wissen, ob Thomas Strässle auch ein Bauchnabelpiercing hat, was genau den Humor des Saalpublikums trifft. Frau Rieks Text lässt die Jury also uneinig und in Teilen auch uninteressiert zurück.

Eine interessante Beobachtung macht übrigens der Podcaster Wolfgang Tischer auf seiner Website Literaturcafe.de. Ihm fällt auf, dass der Beitrag von Josefine Rieks in der Bewertung am Ende als einziger Text keinen einzigen Punkt von der Jury bekommen hat. Herr Tingler durfte nicht für ihn stimmen, weil er ihn vorgeschlagen hat. Wolfgang Tischer hält es für möglich, dass ein während des Wettbewerbs erschienener Artikel der taz für das schlechte Ergebnis mit verantwortlich sein könnte. Hier heißt es, die Bücher von Frau Rieks erscheinen im „rechts-antideutschen XS-Verlag“. Ich kenne diesen Verlag bisher nicht und weiß nichts über seine politische Ausrichtung, finde es aber zumindest ungewöhnlich, dass dieser angeblich rechte Verlag auf seiner Website damit wirbt, „ideologiekritische Schriften in der Tradition von Marx und Theodor W. Adorno“ veröffentlicht zu haben. Wir wären dann also wieder beim Thema der demonstrativen politischen Positionierung. Ich persönlich halte es nach den negativen Tönen in der Besprechung des Textes allerdings für wahrscheinlicher, dass der Jury dieser taz-Artikel egal war und Frau Rieks Beitrag auch aus ganz unpolitischen Gründen niemanden überzeugen konnte, was ich schade finde.

„Nilpferd“ von Thomas Bissinger

Thomas Bissingers Text „Nilpferd“ beginnt mit einer gewissen Galja, die Winbeute empfängt und einem Jaap, der dem Schlehdorn entraschelt und ich frage mich, ob ich jetzt versehentlich in einer mittelhochdeutschen Synchronisierung gelandet bin, aber es sind nur zwei Leute, die auf sehr poetische und sprachlich originelle Weise die Deutsch-Holländische Grenze überqueren. Die beiden Leute atmen und verstreicheln Schweißperlen im Nacken und ich bin schon nach anderthalb Minuten vom Zuhören erschöpfter als sie vom Laufen. Die wohl irgendwo zwischen Deutsch und Niederländisch angesiedelte Fantasiesprache, in der dieser Text verfasst ist, ist bestimmt ein ganz großartiger Fund für bestimmte Lyrik-Liebhaber. Leute, die mit großer Begeisterung Sätze lesen wie: „Ein Hauch von Orangen in der Luft, woher?“ oder „So sehr draußen muss man erst mal sein. So sehr unters Blau zentriert, so zwischen den Rändern.“ Sätze, bei denen ich verzweifeln und diesen Text einfach überspringen will. Aber ich höre dem sympathischen Physiker Thomas Bissinger weiter zu. Inhaltlich geht es um die Nazizeit und die beiden Leute, die am Anfang vom Vaalsberg am Drei-Länder-Eck bei Aachen herunter gelaufen kamen, geraten in Gefangenschaft. Nazis sprechen herkömmliches Deutsch und die fantasievollen jungen Leute, mit denen wir uns identifizieren sollen, reden weiter so kryptisch wie ein Lyrikband. Es stellt sich dann nach angestrengtem Zuhören heraus, dass der Text eine wahre Begebenheit aufgreift: Galjinka ist die Tochter des jüdischen Physikers Paul Ehrenfest. Als sie von der SS verhört wird, leugnet sie ihren Vater aber und wird dadurch gerettet. Das ganze ist wohl auch ein Auszug aus einem Roman, den leider andere lesen müssen.

Weil die Jury ganz aus Literaturprofis besteht, sehen die das natürlich ganz anders und finden die Sprache dieses Textes total super. Und das ist ja auch konsequent. Wenn man über Jahre hinweg immer wieder Texte als konventionell beschimpft, fangen Autoren eben an, Fantasiesprachen zu erfinden, um unkonventionell zu sein. Für Herrn Tingler ist hier jedes Wort am richtigen Platz und er bescheinigt Herrn Bissinger großes literarisches Talent. Frau Delius geht ausführlich auf die biographischen Details von Paul Ehrenfest und seiner Familie ein und lobt den Text dafür, dass er diese nicht nur nacherzähle sondern einen Einblick in das Bewusstsein von Ehrenfests Tochter Galja gebe. Herr Strässle sieht in der Sprache des Textes eine Kunstsprache an der Verbindungsstelle zwischen Holländisch und Deutsch und findet das super. Ihm gefällt auch die Thematisierung des moralischen Dilemmas der Verleugnung des Vaters zur eigenen Rettung und er würde im künftigen Roman auch gerne mehr über den SS-Offizier erfahren, der Galja hier rettet. Frau de Weck sagt, sie habe dieser ganz eigene Sprache des Textes einen Namen gegeben und sie „Bissingerisch“ genannt, was für mich auch wieder eine sehr harte Probe ist, aber es ist ja bald vorbei. Dann analysiert Frau de Weck dieses Bissingerisch auch noch und erwähnt ein paar Szenen, die ihr besonders gefallen haben. Frau Schwens-Harrant endlich sagt einen kritischen Satz, den ich nachvollziehen kann. Sie hätte sich mehr Distanz zu den historischen Figuren gewünscht und sie kritisiert in diesem Zusammenhang auch die Sprache, weil die, obwohl der Text aus der dritten Person erzählt wird, ganz klar die Sprache der Protagonistin Galja ist. Dann ist Professor Kastberger an der reihe. Weil die Sprache des Textes vorher von irgendeinem ihm unterlegenen Anfänger mit Horvath verglichen wurde, erklärt er uns, dass er der Herausgeber der kritischen Horvath-Ausgabe sei und dass Bissingers Sprache mit dem Horvathschen Idiom absolut nichts zu tun habe, so wie dieses auch mit dem Ungarischen nichts zu tun habe sondern ein rein soziologisches Idiom sei. Er selbst habe übrigens die Sprache dieses Textes sofort verstanden und nicht wie Frau de Weck irgendwelche Einstiegsschwierigkeiten gehabt. Die Dramatisierung am Ende des Textes, als Herr Bissinger ganz laut geworden ist und sich wie einst Martin Piekar in Rage gelesen hat – dieser Vergleich stammt aber von mir, nicht von Herrn Kastberger – fand er jedenfalls übertrieben. Dann erklärt Herr Kastberger noch, dass die Geschichte von Poetologien, die sich mit den Holocaust-Verbrechen auseinandergesetzt haben, ein Thema für ein ganzes Seminar wäre. Es hätte ja sein können, dass wir an dieser Stelle schon wieder vergessen haben, dass Herr Kastberger Professor ist und Seminare hält. Frau Sanyal würdigt die große Herausforderung, der sich dieser Text gestellt habe und die Sprache findet sie auch toll. In dezenten Andeutungen geht es dann noch einmal um die kritische Frage, ob der Text seiner Herausforderung und dem Thema wirklich gerecht wird, aber insgesamt ist das Urteil sehr positiv.

„Doppelzweier Leichtgewicht“ von Kay Matter

In Kay Matters Text „Doppelzweier Leichtgewicht“ fährt der jugendliche Paolo, der von Kay Matter konsequent „Baolo“ ausgesprochen wird, mit dem Bus an den See. Durch den Busfahrer, der ihn mit seinem Deadname Aurora anspricht erfahren wir, dass Paolo ein Trans-Mann ist. Am See will Paolo zum ersten mal beim Ruder-Training einer U19-Mannschaft teilnehmen. Er lernt dort die Trainerin und den Ruderer Max kennen, der eine auffällige Narbe am Unterarm hat. Es wird gerudert und Paolo verletzt sich beim Training, versucht aber trotzdem im Ruderclub eine gute Leistung zu zeigen. Es geht in diesem Text einerseits aus Paolos Sicht darum, in dem Kontext des Sports und speziell des Rudervereins, in dem eine klare Geschlechtertrennung herrscht, als Mann anerkannt zu werden. Mit einem Gespräch zwischen Paolo und Max hebt der Text dieses Bedürfnis noch auf eine andere Ebene. Paolo fragt Max, ob er auch das Gefühl habe, sich besonders anstrengen zu müssen, um dazu zu gehören. Wie ich beim ersten Hören des Textes noch glaube, weiß Max nicht, dass sich diese Frage für Paolo eigentlich auf die Zugehörigkeit zum männlichen Geschlecht bezieht. Max antwortet, als ginge es nur um das Rudern. Seine sehr abweisende Antwort steht aber gleichzeitig exemplarisch für das in der Gesellschaft fehlende Verständnis für Paolos Transition. Es ist meiner Meinung nach ein sehr gut konstruierter Text mit einer relativ klaren Aussage.

Frau de Weck lobt die einfache, sachliche Sprache und sieht hier zunächst eine Außenseiter-Story, aus der sie einiges über Geschlechtertrennung gelernt habe, zum Beispiel, dass es typisch männliche Begrüßungsformen gibt. Für Frau Sanyal drückt sich in der Einfachheit der Sätze das Mitmachen im Geschlechterspiel aus, in dem es immer wieder zu Reibungen und Widerständen kommt. Für Frau Schwens-Harrant spielen in diesem Text die Blicke des Protagonisten und der anderen Figuen eine große Rolle, die bereits für die Zuordnung der Personen zu verschiedenen Kategorien sorgen. Sie findet die Beobachtungen des Textes sehr gut. Frau Delius findet die Sprache zwar konventionell, aber einzelne Formulierungen seien sehr gelungen. Sie erwähnt den Namen Judith Butler und vermisst einen Bezug zu queerer Geschlechtertheorie, will das dem Text aber andererseits nicht zum Vorwurf machen. Herr Tingler findet die Sprache natürlich auch konventionell. Er weist aber auf einen interessanten inhaltlichen Punkt hin, der mir und offenbar auch den meisten Jury-Mitgliedern vollkommen entgangen ist und der dem Text eine neue Wendung gibt. Herr Tingler deutet vorsichtig an, dass die Narbe am Unterarm von Max darauf hindeutet, dass es sich bei ihm ebenfalls um einen Trans-Mann handelt, was seiner Abweisung am Ende des Textes eine besondere Härte verleiht. Er kennt Paolos Problem sehr genau, aber weil er sich selbst auf dem Weg zum akzeptierten Mann schon einen Schritt weiter glaubt, distanziert er sich von Paolo. Dieser Punkt ist auch im Hinblick auf die Jury-Diskussion interessant, denn Herr Strässle stimmt Herrn Tingler zwar darin zu, dass diese Narbe genau diese Bedeutung habe, aber warum das so ist, will er nicht erklären, selbst dann nicht, als Frau de Weck ihn direkt danach fragt. Die Jury druckst also um diesen Punkt noch etwas herum, spricht aber nicht aus, worum es bei dieser für das Textverständnis essentiellen Narbe geht. Wir sind hier nicht im ORF sondern auf Anton Weyrothers Literaturpodcast und wollen tatsächlich verstehen, was los ist. Eine kurze Internet-Recherche ergibt, worauf wachere Leser als ich vielleicht auch von selbst gekommen wären, nämlich, dass bei geschlechtsangleichenden Operationen ein Penis aus Hautstücken anderer Körperregionen geformt wird. Als Quelle solcher Hautstücke ist unter manchen Medizinern der Unterarm besonders beliebt. Hier gibt es eine als Radialis-Lappen bekannte Hautregion, die wegen ihrer Durchblutungseigenschaften besonders gut dazu geeignet ist, an andere Körperstellen transplantiert zu werden. Max hat also offenbar eine solche Operation hinter sich und ist in diesem Sinne in der Transition zum Mann weiter fortgeschritten als Paolo. Herrn Kastberger interessiert die Bedeutung der Narbe überhaupt nicht und auch generell findet er den Text uninteressant. Dass der Text sich in einem langsamen Tempo entwickelt, das wohl eher auf ein längeres Format hinzielt, sieht er negativ. Herr Strässle lobt dann noch die Subtilität und Präzision des Textes und die Ambivalenz der Figuren, was Herrn Kastberger aber auch nicht interessiert. Die Jury ist sich hier also uneinig, wobei die positiven Stimmen überwiegen.

„Daughter Issues“ von Nora Osagiobare

In „Daughter Issues“ von Nora Osagiobare fallen in den ersten Sätzen eine ganze Reihe von sprachlichen Klischees auf. Väter, die ihre Töchter vernachlässigen, gibt es „wie Sand am mehr“, wie es dort heißt, und sie tun Dinge „ohne mit der Wimper zu zucken“. Es handelt sich aber bei diesen ersten Zeilen, wie sich dann herausstellt, um eine Präsentation, mit der die Erzählerin das Konzept einer Reality-Show namens „Daddy Issues“ einem Fernsehsender verkauft. In dieser Show können Väter eine Million gewinnen, wenn sie sich nie wieder bei ihrer Tochter melden. Nachdem der Sender ihrem Vorschlag zustimmt, geht sie abends mit ihrer Freundin Diana aus und lässt sich von deren Liebeskummer um Praktikant Philipp erzählen. Bei einem attraktiven Dealer namens Marko kaufen sie Kokain und als sie ihm vom Konzept der Sendung erzählt, findet er das schrecklich. Als die Drogen wirken ist ihr erst einmal alles peinlich und sie erinnert sich an einen Streit mit ihrem Vater. Der wurde von der Mutter mit einem jüngeren Mann betrogen. Am Ende erfahren wir, dass ihr Vater einmal, als sie Kind war, zu ihr gesagt hat, er würde sie auch für eine Million nicht verlassen. Mir gefällt dieser Text sehr gut.

Für Herrn Kastberger ist das ein Siegertext und das sei sofort klar, wenn man ihn gehört habe. Er sei schwungvoll, gegenwärtig und aktuell. Auch die Bilder stimmen für ihn. Frau Sanyal findet, der Text arbeite mit Oberflächen, aber man lerne auch, was darunter liege. Frau Delius findet die Erzähökonomie interessant. Aus dem Erzählen von der missratenen Freundschaft mit Diana entstehe im Kontrast das Bild eines liebenden Vaters. Frau de Weck findet die Nutzung verschiedener Klischees und deren Kontrast zum sensiblen Vater sehr gut. Den Schluss des Textes, in dem die Erzählerin nur ihren Drogenkonsum fortsetzt, deutet sie als hoffnungslos, was Frau Schwens-Harrant anders sieht. Sie sieht Stereotype, die mit der Zeit gut aufgelöst werden. Sprachlich stören sie aber einige klischeehafte Stellen. Herr Tingler hält den im Text thematisierten Drogenkonsum und die drastische Körperlichkeit für Zeichen einer literarischen Mode, die schon wieder abklinge und deshalb sei der Text doch nicht mehr ganz aktuell. Ihn stören auch sprachliche Klischees und Ungenauigkeiten. Frau Delius stimmt ihm darin zu. Herr Strässle sieht in diesen Klischees eine bewusste Satire auf das Millieu der Werbebranche, in der sich die Protagonistin bewegt. Er lobt die Struktur und das Tempo des Textes. Frau Sanyal verteidigt den Text ebenfalls gegen die Kritik an einzelnen Formulierungen und will ihn eher als Ganzes gesehen wissen. Herr Kastberger lobt die Stringenz und Klarheit des Textes. Kein Wort sei zu viel. Frau Schwens-Harrant betont aber, dass hier zwei Ebenen mit einander kollidieren, die filmisch-oberflächliche der Medienbranche und die ernste, private, in der man den Vater der Protagonistin erkennt und hierfür wünscht sie sich eine andere Sprache. Eine solche sprachliche Differenzierung hat Frau Sanyal allerdings wahrgenommen. Die Jury ist sich kurz gesagt sehr uneinig über diesen sprachlichen Aspekt und damit ist es dann trotz der überwiegend positiven Stimmen doch kein ganz so klarer Siegertext.

„Fast eine Geschichte“ von Almut Tina Schmidt

In Almut Tina Schmidts Text „Fast eine Geschichte“ erzählt eine Ich-Erzählerin von einer gewissen Martina und ihrem Partner Alex, die in der Nachbarschaft eingezogen sind. Das Paar bekommt irgendwann ein Kind, obwohl der Erzählerin nicht aufgefallen war, dass Martina schwanger war. Die Erzählerin wird dann selbst schwanger und bekommt Zwillinge. Die tratschende Nachbarin Sibylle ist der Meinung, dass Martina sich endlich scheiden lassen sollte. Die Kinder werden älter und sowohl die Beziehung der Erzählerin als auch Martinas Familie scheinen auseinander zu brechen. Martinas Tochter kommt zum Abendessen, weil bei ihnen zu Hause offenbar eine Krise herrscht. Am nächsten Tag gehen die Erzählerin und Martina gemeinsam mit ihren Kindern zum Elbstrand. Es gibt verschiedene Anzeichen dafür, dass zwischen Martina, Alex und einem früheren Partner etwas nicht stimmt. Als die Erzählerin und ihr Partner eines Abends versuchen, einen Schrank aufzubauen und dabei sehr laut sind, klopft Martina bei ihnen und glaubt, die Erzählerin sei von ihrem Partner verprügelt worden. Durch Martinas Verhalten wird dabei deutlich, dass sie selbst Opfer von Gewalt war oder ist. Der Text endet damit, dass Martina wieder aus der Nachbarschaft auszieht. Es ist eine sehr komplexe Erzählung, die fast durchgehend aus Andeutungen besteht und bis zum Ende im Unklaren lässt, was sich in dieser Nachbarschaft wirklich abspielt.

Frau Sanyal hat dieser Text, in dem nichts ausgesprochen aber trotzdem vieles klar werde, immer wieder neu überrascht. Herr Strässle sieht darin, wie der Titel schon sagt, lauter Fast-Geschichten, in denen alle Konflikte abgedämpft werden und unter dem Deckel bleiben. Es ist für ihn ein Text von virtuos gebrochenen Erwartungsbögen. Herr Kastberger sieht das auch so und für ihn macht das die Spannung des Textes aus. Das Genre sei konventionell, aber die Erzählung stelle insgesamt auf sehr gute Weise die Frage, was eine Geschichte mitbringen muss, um überhaupt Literatur zu sein. Frau de Weck sieht in diesem Beitrag das Thema Nachbarschaft gut dargestellt, weil man von den Nachbarn immer nur einzelne Fetzen aber nie das ganze sieht. Es fehlt ihr dann aber doch ein weiterer Sinn in dieser Erzählung und sie ist sich nicht sicher, ob der in der Szene stecken könnte, in der Martina abends der Erzählerin helfen will. Herr Tingler erkennt eine Gemeinsamkeit der Figuren darin, dass sie alle überfordert seien. Er hätte sich gewünscht, dass sie mit unterschiedlicheren Stimmen sprechen und sieht eine zu starke Einheitlichkeit in den Äußerungen. Gut findet er aber, dass durch die Biederkeit des Millieus das Dämonische dahinter sichtbar werde. Herr Strässle stimmt zu und sieht hier eine Gemeinsamkeit mit Texten von Peter Bichsel. Frau Delius lobt die sehr genaue Bauweise des Textes. Frau Sanyal hat das Bedürfnis, die Erzählerin wach zu rütteln und aus ihrem Leben herauszureißen, so wie Martina am Ende aus der Nachbarschaft heraustritt. Frau Schwens-Harrant hat den Text vorgeschlagen und für sie liegt es an der grandiosen Erzählkunst, dass es in ihm so viel zu entdecken gebe. Der Text wolle keine Erwartungen enttäuschen sondern zeige, wie unvollständig die Informationen sind, die wir im Alltag tatsächlich von unserer Umgebung erhalten. Herr Kastberger sieht das vorher erwähnte Dämonische hier nicht im Vordergrund, entdeckt aber auf formaler Ebene selbstreflexive poetologische Prinzipien. Insgesamt ist die Besprechung damit sehr positiv.

„Wakashu oder“ von Tara Meister

Damit sind wir beim vorletzten Beitrag des Wettbewerbs. Am Anfang von Tara Meisters Text „Wakashu oder“ wird von einem Rehkizz erzählt, das ein Bauer mit einem Erntefahrzeug angefahren hatte und das zur Pflege kurz im Wohnzimmer der Eltern lag, bevor man es dann umgebracht hat. Dann macht die Erzählung einen Zeitsprung und wir sehen die Erzählerin im Gespräch mit einem Mann mit entzündetem Ohr. Sie haben gerade mit einander geschlafen. Eine Freundin bittet sie später, diesen Mann zu beschreiben, aber die Erzählerin will das nicht. Wir erfahren allerdings, dass der Mann dottergelbe Augen hat. Sie versucht ihm sprachliche Feinheiten wie etwa den Unterschied zwischen anfassen und berühren beizubringen. Sie schickt ihm Worte in Umschlägen. Dann essen sie zusammen einen Kürbis. Die Erzählung wechselt immer wieder zwischen diesen feinfühligen Liebeszenen mit dem Mann, der offenbar gerade Deutsch lernt, und einem gemeinsamen Aufarbeiten von Erinnerungen mit der Freundin der Erzählerin. Sie sind beide in einem kleinen Dorf aufgewachsen und von Männer schlecht behandelt worden. Sowohl der Mann als auch die beiden Freundinnen werden dabei auf verschiedene Weise mit dem verletzten Reh verglichen. Die Erzählerin versucht ihre Beziehung zu dem Mann und damit nachträglich auch das Reh zu retten. Es geht immer wieder darum, wie Worte einerseits Körper angreifen oder andererseits schützen können. Ähnlich wie in anderen Texten des Wettbewerbs geht es also auch hier um Sprache und Gewalt. Es ist wahrscheinlich ein sehr guter Text, in dem wieder sehr poetisch mit Sprache experimentiert wird, und es liegt sicher nur an mir und dem fortgeschrittenen Wettbewerb, dass mir dafür an dieser Stelle die Geduld fehlt.

Frau Sanyal findet den Text atmosphärisch sehr dicht. Kein Wort sei hier falsch, aber ihr fehlen Worte und sie hat das Gefühl, nicht in den Text hineinzukommen. Herr Strässle bestätigt, dass der Text es einem nicht einfach mache und attestiert ihm eine lyrische Qualität. Inhaltlich kreise er um eine Leerstelle, die schon im Titel angedeutet werde. Kritisch bemerkt er, der Text sei geheimnisvoll und vielleicht auch geheimnistuerisch. Es gehe jedenfalls um das Finden einer neuen Sprache und eines Namens. Für Frau de Weck geht es um ein Dazwischensein zwischen Wald und Dorf, Kindheit und Erwachsensein und zwischen Tier und Mensch, sowie um Missbrauch. Sie findet gut, dass sich eine typische Dynamik zwischen Mann und Frau hier umkehre und es über den in der Beziehung offenbar unterlegenen Mann sogar heißt, er habe Rehaugen. Die Mehrdeutigkeiten waren ihr aber manchmal zu viel. Frau Delius findet es gut, dass dieser Text hermetisch sei. In dem Liebhaber der Erzählerin sieht sie eine von ihr erschaffene, imaginäre Figur, mit der sie sich ein Gegenüber zur Aufarbeitung der Erinnerungen kreiert. Für Herrn Kastberger macht der Text zu viel Theater um eine gewisse Empfindsamkeit. Empfindsamkeit, so erklärt er, habe eine lange Tradition in der Literatur habe. Es sei hier alles zu weich gezeichnet und der Text gehe eigentlich nicht weit genug. Aus einer gewollten Behutsamkeit des Textes werde hier schon eine Betulichkeit. Frau Delius entgegnet darauf, dass eher Max Höflers Text mit dem am Ende zerbrochenen Gewehr und dieses Zerbrechen in der Performance andeutenden Geräuscheffekten betulich sei, worauf Herr Kastberger meint, man könne diese Texte überhaupt nicht mit einander vergleichen, was mich widerum überrascht, weil ich dachte, dass es bei dem gesamten Wettbewerb um nichts anderes als einen Vergleich dieser Texte gehe. Frau Sanyal lobt einzelne Sätze des Textes, die sie sich am liebsten tättowieren lassen würde und verteidigt ihn wie Frau Delius gegen Herrn Kastbergers Vorwurf der Betulichkeit. Ihr fehlt aber hinter den Andeutungen etwas Klarheit und eine Wut der Erzählerin. Frau Schwens-Harrant hat dem Text beim ersten Lesen zwar keine Wut aber doch mehr Klarheit entnommen, als jetzt in Frau Meisters Vortrag. Hier war ihr Eindruch dann eine größere Passivität. Für Herrn Tingler hat der Text etwas fiebriges, vielleicht sogar hypnotisches. Die Metaphorik des Textes findet er unkonventionell und damit sei der Text für ihn auch nicht betulich. Herrn Strässles Kritik, der Text sei geheimnistuerisch, stimmt er allerdings zu. Herr Tingler, Herr Strässle und Frau Delius kommen dann noch auf die Spekulation zurück, dass der Liebhaber kein realer Mann sondern ein inneres Gegenüber sein könnte. Bis auf die Vorwürfe von Betulichkeit und Geheimnistuerei bleibt die Besprechung also überwiegend positiv.

„Kindheitsbenzin“ von Boris Schumatzkys

Der letzte Beitrag ist Boris Schumatzkys Text „Kindheitsbenzin“. Er handelt davon, dass der Erzähler nicht zu seiner kranken Mutter nach Russland reisen kann, weil er befürchtet, bei der Einreise verhaftet zu werden. Stattdessen schreibt er in Berlin über einen fiktiven Flug nach Russland und über die russische Sprache. Er erzählt von der Angst, am Flughafen wegen eines kritischen Social-Media-Posts verhaftet zu werden. Er hat deshalb bei seinem imaginären Flug nur ein altes Tastentelefon dabei, sowie auch eine Tablette, mit der er sich im Fall einer Verhaftung umbringen würde. Die Mutter will nicht, dass er die Reise riskiert und sie will andererseits auch nicht auswandern. Früher hatte die Mutter im Kulturbetrieb gearbeitet und war beruflich viel gereist. Es wird erwähnt, dass eine Freundin von ihr den Dichter Paul Celan gekannt hat. Der Erzähler stellt sich vor, dass seine Mutter schon ins Bett gegangen wäre, wenn er spät abends in Moskau ankäme. Zwischen diesen Szenen einer imaginierten Gegenwart wird in Einschüben eine Erinnerung aus der Kindheit in Russland erzählt. Hier spielt er mit Freunden auf den überschwemmten Straßen der Stadt. Er beschädigt dabei das Auto eines Veteranen, der ihn daraufhin in einem obszönen Russisch übel beschimpft. Es geht also auch hier wieder in einer ganz anderen Variation um das Verhältnis von Sprache und Gewalt, diesmal indem Sprache durch Gewalt korrumpiert wird. Als die Mutter den Mann zur Rede stellen will, bitter der Erzähler sie darum, das nicht zu tun, weil er Angst hat, dass sie dann seine Sprache übernehmen würde. Das Gewalthafte in der Sprache ist also ansteckend. Er stellt sich dann vor, dass er erst zurück nach Moskau reist, wenn dort ein Krieg schon alles zerstört hat, aber die Bücher seiner Eltern den Krieg noch in einem Regal überstanden haben. Am Ende wird ein Satz von Paul Celan zitert, „In der Fremdsprache lügt der Dichter“ und auf die Situation des Erzählers übertragen, der statt zu seiner Mutter zu reisen nicht mehr versuchen wird, die Spuren seiner Muttersprache aus seinem Deutsch zu beseitigen. Für mich ist das eine besonders starke Pointe am Ende. Es ist also wieder ein Text, der von Sprache handelt und der aber ohne die vorher gehörten Sprachexperimente auskommt. Für mich ist dieser sehr ernste und intensive Text der beste Beitrag dieses Wettbewerbs. Hierfür hat es sich dann doch gelohnt, bis zum Ende zuzuhören – oder hie zu höan, wie man im Steirischen wohl sagt.

Für Frau Schwens-Harrant ist der Text deshalb so stark, weil er von dem handelt, was möglich oder unmöglich ist, in diesem Fall also dem Flug nach Moskau. Es gehe um die Verbindung der russischen Gegenwart mit der Vergangenheit und auch um die Situation der Emigration. In der sprachlichen Aufarbeitung der Frage, wo man hingehört, sieht sie Verbindungen zum Text von Natascha Gangl. Herr Kastberger fand den imaginären Flug sehr spannend und lobt die Genauigkeit in der Beschreibung des moskauer Winters und des Veterans. Die Pointe mit dem Celan-Zitat findet er etwas unglaubwürdig aber insgesamt sieht er den Text sehr positiv. Für Frau Sanyal zeigt dieser Beitrag, dass Literatur sowohl konkret als auch universell sei. Der Text zeige sehr gut, wie Sprache auf den Krieg vorbereiten kann. Herr Strässle sieht die Rolle Paul Celans in diesem Text nicht auf das erwähnte Zitat beschränkt sondern der gesamte Text sei eine Sprachreflexion im Sinne Celans. Es werde hier die Muttersprache als die tatsächliche Sprache der Mutter von dem gewaltvollen Russisch des Veterans abgegrenzt. Zwischen diesen beiden Sprachen und der Fremdsprache im Exil als dritter Option befinde sich der Erzähler in einem Dilemma, das am Ende dadurch aufgelöst werde, dass die Merkmale der Muttersprache in das Deutsch des Erzählers aufgenommen werden. Für Frau Delius ist es der interessanteste und beste Text in diesem Jahr. Sie lobt die Erntshaftigkeit und Schwere, die nie in eine Betulichkeit umkippe. Frau de Weck kommt nochmal auf die Sprache zurück, mit der hier in ganz einfachen Situationen das Monströse der Putin-Diktatur erzählt werde. Sie lobt auch den Wechsel zwischen dem Erlebten und dem Imaginierten. Sie hätte sich aber mehr Kontext gewünscht, um die Entscheidung des Erzählers glauben zu können, im Fall der Verhaftung das tödliche Medikament zu nehmen. Herr Tingler sieht in diesem Text vier Ebenen, insbesondere eine gespaltene Gegenwart, in der die Figuren bei jedem Wort überlegen müssen, was sie für die jeweils Angesprochenen bedeuten. Dass die Sprache des Veterans physisch verletzend sein kann und die russische Grammatik korrumpiert wird, findet er sehr gut. Frau Sanyal betont, dass es in den verschiedenen hier auftretenden Sprachen jeweils das Besondere gibt, das sich nicht in andere Sprachen übertragen lässt, wie der Text ebenfalls zeigt. Es wird dann noch kurz diskutiert, ob man das Celan-Zitat über den in der Fremdsprache lügenden Dichter auch auf Nabokov anwenden dürfe, der ja vom Russischen ins Englische gewechselt ist. Herr Schumatzky nutzt am Ende der Diskussion das ihm zustehende Schlusswort um zu sagen, dass er sich verstanden fühle, was selten der Fall sei.

Was am Ende bleibt

So harmonisch enden also die neunundvierzigsten Tage der deutschsprachigen Literatur. Wie man längst überall lesen konnte, gewinnt Natascha Gangl verdient den Ingeborg Bachmann-Preis und auch den Publikumspreis. D der Deutschlandfunkpreis geht an Boris Schumatzky, Frau Meister gewinnt ein Stipendium, Frau Osagiobare bekommt den KELAG-Preis und Frau Schmidt den 3sat-Preis. Und nachdem alles so positiv ist, soll auch mein Fazit sich dieser Harmonie anschließen. Was nehmen wir mit vom Bachmannpreis 2025? Was die Autoren betrifft, bin ich besonders froh, hier auf Boris Schumatzky, Nefeli Kavouras, Almut Tina Schmidt, Josefine Rieks und Natascha Gangl gestoßen zu sein. Wenn man vor zwei Jahren als eine gewisse Tendenz oder wenigstens ein gemeinsames Thema mehrerer Texte die gestörte Kommunikation ausmachen konnte, war es dieses Jahres vielleicht das Verhältnis von Sprache und Gewalt, das mehrere Beiträge mit einander verband, vor allem die Texte von Boris Schumatzky, Tara Meister, Thomas Bissinger und Fatima Khan.

Das Schöne am Bachmannpreis, um weiterhin positiv zu bleiben, ist ja wie gesagt, dass man die Arbeit der Jury mit ansehen darf. Das meiste daran hat mir sehr gut gefallen. Die Besprechungen haben zu einem Verständnis der Texte beigetragen und auch die Wahl der Preisträger ist für mich diesmal sehr plausibel. Überhaupt waren die allermeisten Beiträge der Jury nachvollziehbar und erhellend. Aber dann gab es eben auch Verhaltensweisen, die es mir mit der Jury und dem ganzen Bachmannpreis verderben. Das fängt für mich damit an, dass der Vorsitzende Klaus Kastberger sich immer wieder sehr betont von der erhobenen Warte einer literarischen Autorität her äußert. Wenn jemand erst erwähnen muss, dass er der Herausgeber einer Horvath-Ausgabe ist, bevor er etwas über Horvath sagt, dann will er nicht durch Argumente sondern durch Autorität überzeugen. Aus meiner Sicht zieht sich diese Tendenz bei Herrn Kastberger leider durch die gesamte Veranstaltung.

Unangenehmer noch empfinde ich allerdings die Momente, in denen Herr Tingler Frau Sanyal vor laufender Kamera erklärt, wie man Literaturkritik macht. Das sollte er vor der Veranstaltung tun, oder am besten gar nicht. Der Gipfel war für mich dann, wie gesagt, die ausführlich erwähnte Szene während der Besprechung zu Natascha Gangls Text, in der Herr Kastberger und Herr Tingler Frau Sanyal für die angebliche Verharmlosung von Nazi-Verbrechen bloßstellen wollten. Für mich hat das nach dem gezielten Versuch ausgesehen, ein Jurymitglied wegzumobben. Es geht mir nicht um Mitleid mit Mithu Sanyal. Vielleicht hat man sich ja inzwischen hinter den Kulissen ausgesprochen und es ist alles wieder in Ordnung. Darum geht es mir nicht. Für mich liegt das Problem darin, dass ich mich als Komplize dieses Verhaltens fühle, wenn ich es zur Kenntnis nehmen und dann einfach zur Tagesordnung übergehe und weiter über die Wettbewerbsbeiträge rede. Hier habe ich das jetzt noch einmal getan, aber damit war es das dann für mich.

Ganz im Sinne Max Höflers danke ich allen, die bis hierhin zugehört haben, für die damit verbratene Lebenszeit und allen, die meine hier genannten Schwierigkeiten nicht nachvollziehen können und auch nächstes Jahr wieder Lust auf den Bachmannpreis haben, wünsche ich schon jetzt ein schönes fünfzigstes Jubiläum. Vielleicht hält Herr Kastberger ja dann zur Einführung eines seiner Proseminare, damit alle wenigstens halbwegs auf seinem Level sind.


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